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regionalen Produkte aus biologischem Anbau anzubieten. Hier fand man das schönste Gemüse, das saftigste Obst, den frischesten Fisch und das zarteste Fleisch. Jonathan liebte diesen Markt, der eine bunt gemischte Kundschaft anzog: Touristen, Küchenchefs oder einfach Feinschmecker auf der Suche nach Qualitätsware.
»Bitte, Papa, da hinten gibt es Jerky! Das habe ich noch nie gegessen!«
Jonathan hob seinen Sohn von den Schultern, der sofort zu dem Stand hinstürzte. Begeistert verschlang er ein Stück von dem getrockneten Rindfleisch und musste sich eine Grimasse verkneifen.
Jonathan zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Inmitten dieses Festivals des Geschmacks fühlte er sich zu Hause. Basilikum, Olivenöl, Walnüsse, Ziegenfrischkäse, Avocados, Gurken, Tomaten, Auberginen, Gewürzkräuter, Riesenkürbis und Salat: Er prüfte, schnupperte, probierte, wählte. »Wer den Urgeschmack der Zutaten nicht hervorheben, sondern verbergen will, ist ein schlechter Koch.« Vom Sternekoch Jacques Laroux, seinem Lehrmeister, hatte er sein Know-how und seine strengen Kriterien bei der Produktauswahl, den Respekt vor den Jahreszeiten und die Suche nach dem besten Lieferanten gelernt.
Hier, im Gemüsegarten der USA , war das nicht schwierig. Bio-Lebensmittel waren längst nicht mehr ein Attribut der Hippies, sie gehörten inzwischen in San Francisco wie in ganz Kalifornien zur neuen Lebensart.
Ohne Charly aus den Augen zu lassen, setzte Jonathan seinen Rundgang fort, kaufte fünf Stück Geflügel, zehn Portionen Steinbutt und eine Kiste Jakobsmuscheln. Er verhandelte über ein Dutzend Hummer und fünf Kilo Langusten.
Bei jeder Bestellung nannte er die Platznummer, wo er seinen Lieferwagen geparkt hatte, damit die Angestellten die Ware dorthin bringen konnten.
»Hey, Jonathan, probier mal!«, rief ihm ein Austernhändler von Point Reyes zu und hielt ihm eine Auster hin.
Es war der übliche Scherz zwischen ihnen, denn der Franzose, der den örtlichen Brauch, die Austern vor dem Servieren in Wasser zu tauchen, nicht schätzte, setzte diese Meeresfrucht nie auf die Speisekarte seines Restaurants.
Jonathan bedankte sich und schlürfte die Auster trotzdem mit etwas Zitrone.
Er nutzte die Pause, um das Handy von Madeline aus seiner Blousontasche zu ziehen. Er schaute auf das Display und spürte eine leichte Enttäuschung, als er feststellte, dass die Floristin seine Nachricht nicht beantwortet hatte. Vielleicht sollte er ihr eine SMS schicken, um sich zu entschuldigen. War er zu weit gegangen? Aber diese Frau weckte seine Neugier … Vergangene Nacht, direkt nachdem er die Fotos ausgedruckt hatte, war ihm bei der Überprüfung der Speicherkapazität des Smartphones etwas Merkwürdiges aufgefallen:
Speicherkapazität: 32 GB
Verfügbarer Speicherplatz: 1,03 GB
Genutzt in %: 97,8
Verfügbar in %: 3,2
Diese Angabe hatte ihn überrascht. Wie konnte es sein, dass der Speicher des Handys bereits so voll war? Auf den ersten Blick enthielt es fünf Filme, etwa fünfzehn Apps, fünfzig Fotos, rund zweihundert Musiktitel und … das war alles. Man brauchte kein Informatikfachmann zu sein, um zu wissen, dass dies nicht ausreichte, um den Speicher eines Smartphones zu füllen. Schlussfolgerung? Es mussten also noch andere Daten existieren!
An die Brüstung oberhalb der Bucht gelehnt, zündete sich Jonathan eine Zigarette an und beobachtete Charly, der vor einem Kaninchenstall kniete. Rauchen war hier sicher nicht erlaubt, aber bei seinem Schlafmangel brauchte er einfach eine Dosis Nikotin. Er stieß eine Rauchwolke aus und antwortete mit einem Kopfnicken auf den Gruß eines Kollegen. Jonathan war unter den Restaurantbesitzern erst wirklich beliebt, seit er sie nicht mehr in den Schatten stellte! Die meisten grüßten ihn mit einer seltsamen Mischung aus Respekt und Mitgefühl. Fast jeder hier wusste, wer er war: Jonathan Lempereur, der ehemals kreativste Sternekoch seiner Generation , der Ex- Mozart der Gastronomie , der Ex- Chef der besten Küche der Welt .
Der Ex, Ex, Ex …
Heute war er so gut wie niemand mehr. Juristisch gesehen war er nicht einmal mehr dazu berechtigt, ein Restaurant zu führen. Bei dem erzwungenen Verkauf der Lizenz für seinen Namen hatte er sich nämlich dazu verpflichtet, sich vom Herd künftig fernzuhalten. French Touch gehörte ihm nicht, und sein Name war nie in den Vordergrund gestellt worden, weder auf der Internetseite des Restaurants noch auf den Visitenkarten.
Eine Journalistin des
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