Nachricht von dir
fünfzehn und siebzehn Jahren im Baby-Rocker -Look, einer von den Typen, denen man vor den Gymnasien der besseren Viertel begegnete: Converse-Schuhe, Röhrenjeans, weißes Hemd, taillierte Markenjacke, das Haar in gepflegter Unordnung.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich … ähm … ja, ich möchte Blumen kaufen«, erklärte er und stellte seinen Gitarrenkoffer auf einem Stuhl ab.
»Das trifft sich gut. Der Wunsch nach Croissants hätte mich vor gewisse Probleme gestellt.«
»Was?«
»Nichts, vergessen Sie’s. Lieber einen rund gebundenen Strauß oder etwas Langstieliges?«
»Wie? Keine Ahnung.«
»Lieber Pastelltöne oder kräftige Farben?«
»Wie?«, wiederholte der Junge, als spreche sie Chinesisch mit ihm.
Sicher nicht der Hellste seiner Generation, dachte Madeline und versuchte, ruhig und freundlich zu bleiben.
»Na gut, haben Sie eine Vorstellung, was Sie für die Blumen ausgeben möchten?«
»Keine Ahnung. Bekommt man für dreihundert Euro etwas Schönes?«
Nun konnte sie einen Seufzer nicht zurückhalten. Sie verabscheute Menschen, die kein Gefühl für den Wert des Geldes hatten. Den Bruchteil einer Sekunde tauchten Erinnerungen aus ihrer Kindheit vor ihrem geistigen Auge auf: die Jahre der Arbeitslosigkeit ihres Vaters, die Opfer der Familie, um ihr ein Studium zu ermöglichen … Wie konnte eine solche Kluft bestehen zwischen diesem Burschen, der mit einem Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen war, und der Göre, die sie einmal gewesen war?
»Also hör mal zu, Kleiner, du brauchst keine dreihundert Euro, um einen Blumenstrauß zu kaufen. Auf jeden Fall nicht in meinem Laden, verstanden?«
»Okay«, erwiderte er lasch.
»Für wen sollen die Blumen denn sein?«
»Für eine Frau.«
Madeline verdrehte die Augen.
»Für deine Mutter oder für deine kleine Freundin?«
»Eigentlich für eine Freundin meiner Mutter«, antwortete er leicht verlegen.
»Gut, und welche Botschaft möchtest du mit diesem Strauß übermitteln?«
»Welche Botschaft?«
»Aus welchem Anlass verschenkst du die Blumen? Um dich für einen Pullover zu bedanken, den sie dir zum Geburtstag geschenkt hat, oder um ihr etwas anderes zu sagen?«
»Ähm … eher das Zweite.«
»Menschenskind, macht dich die Liebe so dumm, oder bist du immer so?«, meinte sie kopfschüttelnd.
Der Junge hielt es nicht für sinnvoll, etwas zu erwidern. Madeline entfernte sich von der Theke und begann, einen Strauß zu binden.
»Wie heißt du?«
»Jeremy«
»Und wie alt ist die Freundin deiner Mutter?«
»Ähm … jedenfalls älter als Sie.«
»Und wie alt bin ich deiner Meinung nach?«
Auch diesmal zog er es vor, nicht zu antworten, ein Zeichen dafür, dass er vielleicht doch nicht so dämlich war, wie er wirkte.
»Gut, du verdienst sie zwar eigentlich nicht, aber das sind die Schönsten, die ich habe«, erklärte sie und zeigte ihm einen Strauß. »Es sind meine Lieblingsblumen: Toulouse-Veilchen, zugleich schlicht, schick und elegant.«
»Die sind sehr hübsch«, gab er zu, »aber was bedeuten sie in der Blumensprache?«
Madeline zuckte mit den Schultern.
»Vergiss die Blumensprache und schenke einfach das, was dir gefällt.«
»Ich würde es aber gern wissen«, beharrte Jeremy.
Madeline tat, als denke sie nach.
»In deiner sogenannten Blumensprache steht das Veilchen für Bescheidenheit und Schüchternheit, symbolisiert aber auch eine heimliche Liebe. Wenn du Sorge hast, es könnte zweideutig sein, kann ich stattdessen auch einen Rosenstrauß binden.«
»Nein, die Veilchen gefallen mir sehr gut«, antwortete er mit einem breiten Lächeln.
Er bezahlte und bedankte sich im Hinausgehen für Madelines Beratung.
Als sie endlich wieder allein war, holte sie das Smartphone heraus und beendete eilig ihre Nachricht:
Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Jonathan, für dieses wenig feinfühlige Eindringen in Ihr Privatleben. Schuld daran war ein Gläschen zu viel, das mich schneller schreiben als denken ließ (ein samtiger Weißwein, ein Vouvray mit dem Aroma von Honig, Rose und Aprikose. Sicher kennen Sie ihn und werden mir deshalb verzeihen).
Der Poststreik wird zwar nicht ewig dauern, um jedoch sicherzugehen, werde ich ein Privatunternehmen in Anspruch nehmen. Ich habe mit einem Kurierdienst Kontakt aufgenommen, der am Spätnachmittag Ihr Handy abholen wird. Selbst unter Berücksichtigung des Wochenendes und der Feiertage hat man mir versichert, dass Sie Ihr Päckchen noch vor Mittwoch erhalten werden.
Erlauben Sie
Weitere Kostenlose Bücher