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zukommen zu lassen, aber sollten sich die Dinge ungünstig entwickeln, wollte sie die Möglichkeit haben, direkt mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Wobei sie hoffte, dass dieser Fall niemals eintreten würde.
San Francisco
Jonathan setzte seine Einkäufe unter den Arkaden des Ferry Building fort. Der über hundert Jahre alte Hafenbahnhof erhob sich stolz entlang des Embarcadero. Seine Glanzzeit hatte er in den Zwanzigerjahren erlebt, als er die wichtigste Endstation der Welt für Reisende gewesen war. Heute war das Hauptgebäude in eine elegante Ladengalerie umgebaut, in der Bäcker, Käse- und Delikatessenhändler zu einem Gourmet-Spaziergang einluden.
Der Gastronom beendete seine Einkäufe mit einer Auswahl an Winterobst – Trauben, Kiwis, Zitronen, Granatäpfel und Orangen –, bevor er sein Versprechen einlöste und seinem Sohn in einem der Cafés am Embarcadero eine Tasse Schokolade spendierte.
Erleichtert vertrieb Charly den Senfgeschmack, der in seinem Mund brannte, mit dem milden Kakao. Jonathan begnügte sich mit einer Tasse Pu-Erh-Tee. Er war gedankenverloren. Beim ersten Schluck schaute er prüfend auf das Display des Handys. Noch immer keine Nachricht von Madeline.
Eine innere Stimme befahl ihm, das Spielchen zu beenden. Was suchte er? Was wollte er beweisen? Was, außer Ärger, konnten ihm seine Nachforschungen eintragen?
Er beschloss jedoch, diese Warnungen zu ignorieren. Letzte Nacht hatte er systematisch alle Apps und Speicherbereiche geöffnet, wobei ihm ein einziger verdächtig erschienen war: ein Ordner, auf dem große, von irgendeinem Computer übertragene Dateien einzusehen waren – PDF s, Bilder, Videos. Falls Madeline in ihrem Smartphone Dokumente verbarg – was die Analyse des Telefonspeichers vermuten ließ –, mussten sie sich dort befinden.
Nur war das App leider durch ein Passwort geschützt!
ENTER PASSWORD
Jonathan betrachtete den blinkenden Cursor, der ihn aufforderte, den Geheimcode einzugeben. Auf gut Glück probierte er nacheinander MADELINE , GREENE , dann PASSWORD .
Das war natürlich illusorisch.
Nachdem auch der dritte Versuch gescheitert war, sah er auf seine Armbanduhr und stellte mit Schrecken fest, wie viel Zeit er vertrödelt hatte. Am Wochenende beschäftigte er eine Küchenhilfe. Dieser Jungkoch hatte jedoch keinen Schlüssel, und auf die Pünktlichkeit des Faulenzers Marcus konnte er nicht zählen.
»Auf geht’s, Matrose, wir lichten die Anker!«, befahl er seinem Sohn und ließ Charly seine Jacke anziehen.
»Ach, Papa, können wir vorher noch den Seelöwen hallo sagen?«
Der Junge liebte es, wenn sein Vater ihm diese seltsamen Meerestiere zeigte, die seit dem Erdbeben von 1989 den Pier 39 als Domizil gewählt hatten.
»Nein, mein Schatz, ich muss arbeiten«, antwortete Jonathan etwas schuldbewusst. »Wir schauen sie uns morgen in der Bodega Bay an, wenn wir angeln gehen, okay?«
»Okay!«, rief Charly und sprang von seinem Stuhl.
Mit einer Serviette wischte Jonathan den Schnurrbart aus Schokolade unter der Nase seines Sohnes ab.
Sie erreichten gerade den Parkplatz, als das Handy in seiner Tasche vibrierte. Jonathan zog es heraus und sah auf dem Display den Vornamen ESTEBAN .
Einen Augenblick zögerte er, ob er das Gespräch annehmen sollte, doch der für die Lieferungen zuständige Angestellte belegte ihn sofort mit Beschlag, um ihm beim Einladen der Waren zu helfen. Charly gefiel es, mitzuhelfen, und so luden die drei rasch alle Kisten in den Austin Mini Kombi, einen echten Countryman aus den Sechzigerjahren mit Holzverzierungen, die das Emblem des Restaurants trugen.
»Anschnallen!«, befahl Jonathan seinem Sohn, bevor er den Motor anließ.
Während er in Richtung des italienischen Viertels fuhr, steckte er das Telefon in die Halterung und …
Bingo! Esteban hatte eine Nachricht hinterlassen! Er schaltete den Lautsprecher ein, um sie zu hören, aber während er eine Männerstimme erwartete, erklang eine melodiöse Frauenstimme:
Guten Tag, Mademoiselle Greene, hier ist die Praxis Dr. Esteban, ich wollte fragen, ob wir Ihren Termin am Montag um eine Stunde verschieben können. Bitte rufen Sie mich zurück. Ein wunderschönes Wochenende.
Jonathan machte überrascht eine Bewegung. Esteban war also nicht der Vorname eines südamerikanischen Liebhabers, sondern der Nachname eines Arztes! Von Neugier ergriffen, wählte er die Gelben Seiten , die auf dem Telefon verfügbar waren, als sein Sohn ihn zur Ordnung
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