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Finger über den Touchscreen glitten, um die Fotosammlung zu öffnen.
Neugierig beugte sich Jonathan vor.
»Zeig mal.«
Bei einigen Bildern handelte es sich eindeutig um erotische Posen, die in Schwarz-Weiß aufgenommen waren: feine Spitze, Satinstrapse, Hände, die schamhaft die nackten Brüste bedeckten oder das Venusdelta streiften. Nicht weiter schlimm zu einer Zeit, da manche Menschen ihr Sex-Tape online stellten …
»Darf ich auch sehen, Papa?«, fragte Charly, der aufgewacht war.
»Nein, nein, schlaf weiter. Das ist nichts für Kinder.«
Erstaunlich, dass diese verklemmte Kuh vom Airport mit ihrem Schickimicki-Gehabe sich zu so einer kleinen Sexy-Session bereit erklärt hatte.
Jonathan, der eher erstaunt als angeregt war, zoomte das Gesicht des Models heran. Ganz offensichtlich amüsierte sie das Spielchen, dem sie sich da hingab, hinter der Fassade aber erahnte man eine gewisse Scham. Vermutlich waren die Aufnahmen eher auf Wunsch ihres Mannes entstanden, der sich für Helmut Newton gehalten hatte. Wer befand sich hinter dem Objektiv? Ihr Mann? Ihr Liebhaber? Jonathan glaubte, am Flughafen kurz ihren Begleiter gesehen zu haben, konnte sich jedoch nicht an sein Gesicht erinnern.
»So, das reicht!«, entschied er und legte das Smartphone unter Marcus’ enttäuschtem Blick zurück auf den Tisch.
Er fühlte sich plötzlich als Voyeur und fragte sich, mit welchem Recht er in das Privatleben der jungen Frau eindrang.
»Glaubst du etwa, dass sie nicht dasselbe tut?«, fragte der Kanadier.
»Das ist mir völlig egal! Solche Fotos findet sie in meinem Handy garantiert nicht!«
Während er sich Wein nachschenkte, dachte Jonathan darüber nach, was sein Smartphone so alles enthielt. Ehrlich gesagt, wusste er es nicht mehr genau.
Jedenfalls nichts Intimes oder Kompromittierendes , beruhigte er sich.
Doch da täuschte er sich gewaltig.
Paris
7:30 Uhr
Der schnittige Jaguar fuhr durch die metallisch blaue Kälte über den Pariser Périphérique. Mit seiner edlen Ausstattung – weißes Leder, Wurzelnussbaum, gebürstetes Aluminium – strahlte das Innere Luxus und schützenden Komfort aus. Auf dem Rücksitz lag das Reisegepäck von Louis Vuitton neben einer Golftasche und einer Ausgabe des Figaro-Magazins.
»Bist du sicher, dass du heute dein Geschäft aufmachen willst?«, fragte Raphael erneut.
»Darling«, rief Madeline, »darüber haben wir doch schon gesprochen.«
»Wir könnten den Urlaub verlängern …«, beharrte er. »Ich fahre weiter nach Deauville, wir übernachten im Normandy und essen morgen mit meinen Eltern zu Mittag.«
»Sehr verlockend … aber nein. Noch dazu hast du einen Termin mit einem Kunden auf der Baustelle.«
»Du entscheidest«, kapitulierte der Architekt und bog in den Boulevard Jourdan ein.
Der Wagen fuhr durch das 15. Arrondissement und hielt schließlich bei der Nummer 13 in der Rue Campagne-Première vor einer dunkelgrünen Tür.
»Soll ich dich heute Abend mit dem Wagen abholen?«
»Nein, ich komme mit dem Motorrad zu dir.«
»Es ist eiskalt!«
»Vielleicht, aber ich liebe meine Maschine!«, antwortete sie und küsste ihn.
Ihre Umarmung dauerte an, bis das Hupen eines ungeduldigen Taxifahrers sie unterbrach. Madeline stieg aus, schlug die Wagentür zu und warf ihrem Liebsten zum Abschied einen letzten Kuss zu. Dann drückte sie den Zugangscode und trat in einen baumbestandenen Hof. Hier bewohnte sie, seit sie in Paris war, eine Wohnung mit Gartenzugang.
»Brrrr! Hier drin sind höchstens – fünfzehn Grad!«, rief sie zitternd, als sie die kleine Maisonette-Wohnung betrat. Es handelte sich um eines der typischen Künstlerateliers, die Ende des 19. Jahrhunderts in diesem Viertel entstanden waren.
Mit einem Streichholz zündete sie die Flamme des Durchlauferhitzers an und setzte den Wasserkessel auf, um sich Tee zu machen.
Das ehemalige Maleratelier war vor langer Zeit zu einer hübschen Zwei-Zimmer-Wohnung umgebaut worden, die über einen Salon, eine kleine Küche und ein Schlafzimmer im Zwischengeschoss verfügte. Doch die hohen Decken, die großen Fenster und der gestrichene Dielenboden erinnerten noch an die ursprüngliche Bestimmung und machten den typischen Charme aus.
Madeline suchte im Radio den Sender TSF Jazz , überzeugte sich, dass alle Heizkörper voll aufgedreht waren, und trank ihren Tee, während sie sich im Rhythmus von Louis Amstrongs Trompetenklängen wiegte und darauf wartete, dass es in der Wohnung wärmer
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