Nachricht von dir
haben nur ein Leben, Jonathan, und wir sind dazu geschaffen, es gemeinsam zu verbringen und mehr Kinder zu bekommen. Lass uns unsere Pläne wieder aufnehmen und weitermachen wie früher. Ohne dich ist mein Leben nichts wert …
Die Stimme der Italienerin erstarb in unendlicher Traurigkeit, und die Nachricht war beendet.
Einige Sekunden lang verharrte Madeline reglos. Sie war erschüttert von dem, was sie gehört hatte, Schuldgefühle erfassten sie. Sie fröstelte, legte das Handy zurück auf den Tresen und fragte sich, was sie jetzt tun sollte.
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Kapitel 3
Ein Geheimnis
Jeder Mensch hat Geheimnisse.
Man muss nur herausfinden, welche.
Stieg Larsson,
Verblendung
Jonathan schaltete in den dritten Gang. Das Getriebe gab ein schrilles Quietschen von sich, so als wolle der Wagen auf der Stelle den Geist aufgeben. Er hatte darauf bestanden, zu fahren: Selbst wenn sie es nicht weit hatten, war es undenkbar, Marcus das Steuer zu überlassen. Auf dem Beifahrersitz zusammengesunken, lallte sein Freund in seinem Rausch einige anstößige Strophen aus Georges Brassens Repertoire:
Quand je pense a Fernande, je bande, je bande …
Denk’ ich an die Grete, dann steht er, dann steht er.
»Leiser«, befahl Jonathan und warf einen Blick in den Rückspiegel, um sich davon zu überzeugen, dass sein Sohn noch schlief.
»Entschuldige«, nuschelte Marcus, richtete sich auf, öffnete das Fenster und streckte den Kopf in den Fahrtwind, so als könne ihm dieser helfen, nüchtern zu werden.
Völlig durchgeknallt, dieser Kerl! , dachte Jonathan und fuhr erneut langsamer, bis der Wagen wie eine asthmatische Schnecke dahinkroch.
Dann bog der R 4 in die westliche Filbert Street ein, die steilste Straße von ganz San Francisco. Am Anfang der Steigung stotterte die Klapperkiste, als würde der Motor jeden Augenblick aussetzen, erreichte aber schließlich mühsam die Kuppel des Telegraph Hill, auf dem sich der erleuchtete Coit Tower erhob. In einem gefährlichen Manöver parkte er den Wagen in einer schrägen Lücke und schlug die Räder zum Bürgersteig hin ein. Erleichtert, gut angekommen zu sein, nahm er seinen Sohn auf den Arm und ging über den kleinen Weg, der zwischen Eukalyptusbäumen, Palmen und Bougainvilleen hindurchführte.
Marcus folgte ihm schwankend und grölte schon wieder schlüpfrige Lieder vor sich hin.
»Wir wollen schlafen!«, beklagte sich ein Nachbar.
Jonathan nahm Marcus beim Arm und versuchte, ihn möglichst schnell mitzuziehen.
»Du bist mein einziger Freund, mein einziger wirklicher Kumpel …«, lallte der Betrunkene und fiel ihm um den Hals.
Jonathan hatte Mühe, ihn zu halten, und so stiegen die »zweieinhalb Männer« vorsichtig die Holzstufen am Telegraph Hill hinab. Die Treppe, über die man die kleinen bunten Häuser erreichte, schlängelte sich durch eine fast tropische Vegetation. Die ehemals für Dockarbeiter und Seeleute errichteten Holzhäuser hatten dem Erdbeben von 1906 standgehalten und erfreuten sich heute bei wohlhabenden Künstlern und Intellektuellen großer Beliebtheit.
Schließlich erreichten sie das Tor zu dem üppigen wilden Garten, in dem das Unkraut den Kampf gegen Fuchsien und Rhododendren definitiv gewonnen hatte.
»Alle Mann ins Bett!«, rief Jonathan mit der Autorität des Familienoberhaupts.
Er zog Charly aus, deckte ihn zu und gab ihm einen Kuss. Dann tat er dasselbe mit Marcus – den Kuss ausgenommen. Man sollte auch nicht übertreiben …
Als endlich Ruhe herrschte, holte sich Jonathan in der Küche ein Glas Wasser und ging mit seinem Laptop auf die Terrasse. Durch die Zeitverschiebung erschöpft, unterdrückte er ein Gähnen, rieb sich die Augen und ließ sich auf einen Teakholzstuhl fallen.
»Na, mein Junge, gar nicht müde?«
Jonathan hob den Kopf: Es war Boris, der Papagei des Hauses.
Den habe ich ganz vergessen!
Der Vogel hatte dem ehemaligen Besitzer – ein wahres Original – gehört, der in seinem Testament für den künftigen Käufer des Hauses die Verpflichtung festgelegt hatte, sich ad vitam aeternam um sein Lieblingstier zu kümmern. Boris war über sechzig Jahre alt, und sein Besitzer hatte ihm jeden Tag eine Stunde Sprachunterricht erteilt, sodass er etwa tausend Wörter und mehrere hundert Ausdrücke beherrschte, die er mit erstaunlicher Schlagfertigkeit von sich gab.
Phlegmatisch, wie er war, hatte er sich bald an seine neue Familie gewöhnt und war Charlys große Freude. Auch mit Marcus, der ihm eine
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