Nachrichten an Paul
sich doch gemeldet, nicht wahr. Meine Hände sind auf der Tastatur, und mein Körper ist hier in Monsanto, aber mein Herz ist in Vancouver und meine Seele leidet. Verdammt noch mal, Nicki, warum meldest du dich nicht? Nicki ist nicht mal online.
*
Skypen braucht Geduld, hat Paul mir mal geschrieben, ganz besonders mit den verschiedenen Zeitzonen, aber nach drei Tagen ist meine Geduld dann doch erschöpft. Und als ich sehe, dass Nicki online ist, skype ich sie an. Und damit sie auch antwortet, und nicht meine Meldung einfach virtuell in der Luft hängen lässt, mache ich einen Videocall. Und siehe da – sie antwortet sofort.
Ich sitze gespannt vor dem Bildschirm, da erscheint das Gesicht vom Prinzesschen. Ich habe sie noch nie getroffen, aber ich erkenne sie sofort. Von den Fotos ins Pauls Wohnung. Ich frage mich, was die Prinzessin in Nickis Wohnung macht, denn da gehört sie doch überhaupt nicht hin, nicht wahr. Ich brauche einen Moment, bis mir der bürgerliche Name vom Prinzesschen einfällt.
„Hallo Lena“, sage ich.
„Halloo?“, sagt Lena.
„Ich würde gerne die Nicki sprechen“, sage ich.
„Die ist mit Paul einkaufen“, sagt Lena.
„Und da lassen die dich ganz alleine?“, frage ich.
„Ich bin fast vierzehn“, sagt Lena. Ja, in neun Monaten, soviel ich weiß, aber gut.
„Ja, aber du bist doch krank“, sage ich.
„Nee, bin ich nicht“, sagt Lena.
„Also geht´s dir wieder besser“, sage ich.
Und da macht Lena eins von diesen Gesichtern, wie es in der Tat nur dreizehnjährige Mädchen so richtig können, diese Mischung aus: Diese Erwachsenen sind manchmal sooo doooof, kombiniert mit einem gekonnten Augenverdrehen. Und da wird mir klar: Das Prinzesschen war überhaupt nicht krank und Paul hat mich angelogen.
In dem Moment geht hinten die Tür auf und Paul und Nicki kommen rein. Sie kommen ganz offensichtlich vom Einkaufen, sie tragen diese großen gut gefüllten Papiertüten, die man hier nur aus den Filmen kennt und die sie da drüben wirklich benutzen, und sie sind offensichtlich ziemlich verliebt, denn gerade gibt Paul Nicki einen gutgelaunten Kuss.
„Du sollst doch nicht den ganzen Tag chatten“, sagt Paul zur Prinzessin.
„Ist nicht für mich“, sagt Lena. „Ist für Nicki.“
Nicki kommt näher und jetzt sieht sie mich. Und mein fassungsloses Gesicht und ich höre, wie sie sagt, ach du Scheiße.
„Hör mal, Anna“, sagt Nicki und stellt die Papiertüte neben dem Laptop ab und ihren Kaffeebecher daneben. Ganz in die Nähe der Tastatur und ich hoffe, dass dieser Kaffeebecher umfällt, jetzt sofort und in die Tastatur, denn das ist doch das Mindeste, was Nicki verdient hat.
„Okay“, sagt Nicki. „Es ist, wonach es aussieht, und ich möchte es auch irgendwie lieber nicht erklären.“
Ich sage nichts. Ich versuche den Kaffeebecher zu hypnotisieren, er soll umfallen, umfallen, umfallen.
„Hör mal, Anna“, sagt Nicki jetzt noch mal und jetzt kommt Paul an den Bildschirm und sieht mich und sagt: ach du Scheiße.
„Hör mal, Anna“, sagt jetzt Paul und da reicht´s mir aber und ich schalte meinen Laptop ab. Das war´s.
*
Am nächsten Morgen schalte ich meinen Laptop wieder an, aber das Internet aus. Ich will keinen hören und keinen sehen. Ich fahre nicht ins Café. Ich bleibe einfach zu Hause. Der Riesenvorteil: Ich komme supergut mit meinen Übersetzungen voran. Die Gebrauchsanleitung für den Leisehäcksler ist fertig und Michaelas Liebesbriefe sind via Sprachenschule auf dem Weg zu Franciscos Frau. Vermutlich wird Francisco eine Menge Ärger bekommen, aber ist nicht meine Schuld, ich war nur ein Handlanger des Schicksals, sozusagen. Ich frage mich, wer die Handlanger meines Schicksals sind, das ist doch unglaublich. Ich glaube, ich gebe auf. Ab jetzt wird mein Leben nur noch aus Arbeit bestehen, aus Arbeit und Arbeit und Arbeit. Ich nehme die nächste Übersetzung vom Stapel. Ein Buch. Die kanadischen Tagebücher von Else Seel. Eine literarische Übersetzung, eine schöne Abwechslung zu Leisehäcksler und Liebesbriefen.
Am Nachmittag fängt das Telefon an zu klingeln. Ich sehe auf den Display. Es ist Nicki aus Vancouver. Na, die kann mich mal. Ich weiß gar nicht, was sie von mir will - und will es auch gar nicht wissen und ich will da auch keine Erklärungen hören. Ich nehme nicht ab, aber Nicki gibt nicht auf. Das Telefon klingelt und klingelt und mir wird irgendwann klar: Auch dafür gibt es eine Lösung, und ich ziehe den Stecker
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