Nachrichten an Paul
uns nicht zu nahe, und das Ganze fühlt sich schon ein bisschen komisch an. Ich stehe vor seinen Büchern, er hat ziemlich viele Bildbände, viel über Architektur natürlich und einige Kunstbände, auch ausgefallene Sachen und hier sonst unbekannte Künstler wie Tom Thomson. Ich merke: Ich kontrolliere. Aber hallo. Ich checke ab. Ich habe Miguel auf dem Prüfstand. Das ist unfair, irgendwie, finde ich, aber ich kann nicht anders. Er hat ein paar sehr schöne Kunstfotos an den Wänden, aber es gibt nur ein persönliches Foto, ein sehr altes Foto, das Hochzeitsfoto seiner Großeltern.
„Na“, sagt Miguel. „Hab ich bestanden?“
Und ich weiß gar nicht, was ich antworten soll.
Wir gehen an dem Abend nicht essen, sondern sind bei Freunden eingeladen. Tiago und Vanessa, er Architekt bei der Stadt und sie Dozentin an der Uni von Porto, Tiago ist supernett, er und Miguel haben mal zusammen gearbeitet, und Vanessa sie ist eine klasse Frau und wir verstehen uns sofort. Nach dem Abendessen gehen wir runter ins Café.
Es ist laut und voll, wir trinken unseren Espresso und genießen den Lärm und den Trubel und ich merke plötzlich: Das alles hat in meinem Leben die letzten zwei Jahre gefehlt, das hat es einfach überhaupt nicht mehr gegeben. Es war ein Leben, in dem man nicht mehr planen konnte, ein Leben auf Abruf, ein Leben, wo man jederzeit bereit sein musste für die Notaufnahme. Ich genieße die Unterhaltung, heute ist alles auf Portugiesisch, natürlich, wegen Tiago und Vanessa. Sonst sprechen Miguel und ich eher deutsch. Meistens jedenfalls. Danach gehen wir zu ihm nach Hause und ich denke, was jetzt, was passiert jetzt.
Aber dann ist es irgendwie ganz einfach. Miguel zeigt mir das Gästezimmer und das Bad und er sagt, wenn ich noch was brauche, soll ich es sagen. Und morgen gehen wir in die Stadt, wenn ich dazu Lust habe.
Ich habe Mühe zu schlafen. Ich denke: Miguel ist im Nebenzimmer, also in seinem Schlafzimmer. Ob ich da jetzt einfach rübergehen soll?
Und vielleicht liegt er in seinem Zimmer und denkt das Gleiche? Ich weiß nicht ein noch aus, und irgendwie ist das Leben schwierig und die Liebe anscheinend noch viel schwieriger, als ich dachte. Ich habe das alles vergessen in diesen langen Ehejahren, wo man es hinnimmt, dass da jemand ist, ständig ist, und manchmal ist man dankbar und manchmal ist man genervt. Aber im Großen und Ganzen denkt man einfach nicht drüber nach.
*
Am nächsten Morgen frühstücken wir in einem Café in Miguels Straße. Wie fast alle Portugiesen frühstückt Miguel nicht richtig. Ein Milchkaffee, ein trockener Kuchen, das ist es schon. Manchmal noch ein Glas Orangensaft. Nach dem Frühstück gehen wir los und es ist ein tolles Gefühl mit einem Architekten durch die Stadt zu gehen, er kennt die Stadt wie seine Westentasche und macht mich auf Kleinigkeiten aufmerksam, die mir sonst nie auffallen würden, da würde ich glatt dran vorbeigehen. Ich bin überhaupt noch nie so richtig in der Altstadt von Porto gewesen. Miguel zeigt mir den alten Bahnhof mit den riesigen Kachelbildern an den Wänden. Blaue Kacheln mit Schlachtengetümmel auf einem Bild und Ochsenkarren und Getreideernte auf einem anderen. Ein Bahnhof wie ein Museum und noch in Betrieb. Von hier aus kann man nach Braga und Guimarães fahren, nach Aveiro und nach Ovar.
Dann fahren wir mit der Zahnradbahn nach unten an den Douro. Es geht steil abwärts wie bei einer Achterbahn, aber zum Glück oder vielleicht auch leider ist die Gondel waagerecht. Wir laufen ein Stück am Cais da Ribeira entlang und trinken dann in einem der Restaurants Kaffee. Wir genießen den Ausblick auf den Fluss und kartenlesende Touristen. Dann geht es weiter durch die Stadt, durch kleine Gassen und vorbei an alten Häusern mit Wäsche auf dem Balkon. Miguel zeigt mir die Buchhandlung Lello, es heißt, es sei die drittschönste Buchhandlung der Welt und ich frage, welche Buchhandlungen sind da bloß auf Platz eins und zwei? Welche Buchhandlung soll das denn toppen? Diese holzgeschnitzten Decken, die verzierten Säulen, das riesige Buntglasdach, einfach die ganze wunderbare Atmosphäre einer so alten und so schönen Buchhandlung. Miguel sagt, den ersten Platz hat eine Buchhandlung in einer alten Kirche in Maastricht und den zweiten Platz eine Buchhandlung in Buenos Aires, in einem alten Theater. Mag sein, aber für mich ist jetzt Lello die schönste Buchhandlung der Welt, schon weil ich ja die anderen gar nicht kenne.
Wir
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