Nachrichten an Paul
genau das Gleiche. Is this real life ? Und vor allen Dingen: Why me ?
„Passiert das wirklich?“, frage ich Agathe.
Agathe nickt.
„Warum ich?“, sage ich.
Agathe schweigt, was soll sie auch dazu sagen.
Ich stelle mein Modem an und gehe zu Skype. Und sofort purzeln diese ganzen kleinen orangen Punkte auf meinen Bildschirm. Die ganzen aufgestauten Nachrichten der letzten Tage. Geradezu wie ein kleiner oranger Kometenhagel, ein kosmischer Sternenhagel aus dem virtuellen Postlager.
Paul schreibt fünfmal, ich soll mich melden und es tut ihm leid und er konnte ja nicht wissen, er hatte ja keine Ahnung, und ich möchte mich bitte bei ihm melden.
Nicki schreibt siebenmal, ich soll mich melden und es tut ihr leid und sie konnte ja nicht wissen, und sie hatte ja keine Ahnung, und ich möchte mich bitte bei ihr melden.
Meine Mutter schreibt ein paar Mal: Bist du da?
Und dann: Nimm doch mal ab. Was ist denn mit diesem Skype los? Habe ich hier einen falschen Knopf gedrückt? Na ja, ist ja auch weit.
Clara schreibt: Rate mal, wer heute mit mir essen geht? Er will mir was Wichtiges sagen. Heute Abend. Beim Essen. Drück mir die Daumen.
Ich schicke an meine Mutter, Nicki und Paul eine nette Nachricht, und zwar mit dem gleichen Inhalt: Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde, aber mein Internet war kaputt. Es geht mir gut, bin in Eile, hab viel zu tun, wir reden demnächst.
Nur an Clara schreibe ich was Anderes: Paul hat mich versetzt. Paul ist nicht gekommen. Paul hat mich angelogen und mit Nicki betrogen. Und Dona Ermelinda hat Spione in Vancouver. Mein interner Schutzleiter ist für eine Zeit ausgefallen. Aber jetzt geht´s wieder, glaube ich.
Clara skypt zurück: El mundo todo es máscara. Todo el año es carneval. Und damit du´s auch verstehst: Die ganze Welt ist eine Maskerade. Das ganze Jahr ist Karneval. Ist nicht von mir, sondern von Mariano José de Larra. Kopf hoch, ich weiß, eines Tages kannst du drüber lachen. Clara.
Bei dieser ganzen Skyperei fällt mein Blick auf mein Skype-Motto und da steht doch in der Tat, was da schon die ganze Zeit stand und was ich in einem munteren Moment da mal reingesetzt habe, in einem Moment voller Hoffnung: Alles, was vorstellbar ist, ist auch möglich.
Ich bin also vermutlich selber schuld an all dem Schlamassel, wenn ich solche Sachen oben neben meinen Namen schreibe, nicht wahr, und damit die Handlanger des Schicksals herausfordere. Clara meint, eines Tages kann ich vielleicht über all das lachen. Tja ich weiß nicht so recht.
Ich lösche mein Herausforderndes: Alles, was vorstellbar ist, ist auch möglich, und schreibe stattdessen: comedy is tragedy plus time .
Das ist aus einem meiner schlauen Bücher und bedeutet so viel wie: Eines Tages kann ich drüber lachen.
*
Und weil ich nicht mehr ständig meine Nachrichten kontrolliere und im Skype rumhänge, komme ich gut voran und schon ist das Buch übersetzt und in trockenen Tüchern, wie es so schön heißt, oder anders ausgedrückt: im angemessenen pdf-Format auf einer CD. Die muss jetzt nur noch an den Verlag in Porto, und ich denke Porto, in Porto wohnt doch Miguel Moreira, den wollte ich doch schon lange mal besuchen und Else Seel ist schließlich mit ihrem Georg sehr glücklich geworden und vielleicht ist das die Lösung. Man entscheidet sich einfach und man versucht es und gibt sich ein bisschen Mühe und dann klappt es auch. Und ehe ich mich versehe, sitze ich im Bus nach Porto.
Miguel holt mich vom Busbahnhof ab und fährt mit mir durch die Stadt und zeigt mir Porto und dann bin ich zum ersten Mal in seiner Wohnung. Es ist eine Wohnung in einem ganz normalen Appartementblock. Es gibt ein Wohnzimmer und sein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer und ein Gästezimmer. Die Küche hat einen Balkon und Blick über die Stadt. Und es gibt zwei Bäder. Es ist gemütlich. An den Wänden Bücher, im Regal viele Musik-CDs. Ziemlich viel, was ich kenne und gerne höre, wie K. D. Lang und Nina Simone. Und sehr viel Fado, auch neuer Fado mit Ana Moura und Camané, für den ich schwärme. Er hat Tito Paris und Sara Tavares, Musik von den Kapverdischen Inseln. Und natürlich hat er Cesária Evora komplett.
Wir sind beide ein bisschen verlegen, jetzt so da alleine in der Wohnung, wenn er bei mir ist, ist es einfacher, da wohnt er im Gästehäuschen. Da ist es irgendwie getrennter. Mehr Abstand. Das ist ein anderes Gefühl. Aber hier – so zusammen. Wir überspielen die Verlegenheit mit Höflichkeit und kommen
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