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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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raus. Denn soviel habe ich mittlerweile gelernt aus meinen Gebrauchsanleitungen, die ich hier ständig übersetze, sozusagen als eine Art Sekundärgewinn neben meinem Honorar: Geräte, die nicht ordnungsgemäß angeschlossen sind, können nicht funktionieren. Das ist nämlich das Erste, was man immer überprüfen soll, ob das Gerät angeschlossen ist. Und wenn es nicht angeschlossen ist, ist es nicht betriebsbereit. So einfach ist das.
    Ich lese das Buch von Else Seel in wunderbarer Stille. Keine Unterbrechungen durch Telefon oder E-Mails, kein Skype, kein Kontrollieren der Facebook-Fangbox. Es ist fast so still wie in Else Seels Hütte oben im Norden Britisch Kolumbiens vor achtzig Jahren. Diese Frau hat diesen Mann geheiratet, ohne ihn zu kennen. Hatte den Kontakt nur durch Briefe. Und dann gleich geheiratet. Und sie leben da in dieser Wildnis und die Ehe geht anscheinend gut. Irgendwann schreibt Else Seel: Mein lieber Mann wird mir lieber und lieber. Vielleicht kommt es gar nicht darauf an, wen wir heiraten, sondern was wir daraus machen. Es würde mich ja schon interessieren, wieso sie diesen Mann geheiratet hat. Wie hat sie ihn bloß kennengelernt? Eine Journalistin aus Berlin heiratet einen Trapper bei Bella Coola. Das ist doch merkwürdig, da muss doch was dahinterstecken, das Buch verrät es nicht, ich könnte es natürlich googeln, heutzutage kann man ja alles googeln, aber für Googeln müsste ich ins Internet und dazu müsste ich online gehen. Und online gehen will ich nicht.
    Ich bin gerade so richtig schön im Buch drin, in einer Welt der Fallensteller und harten Winter, da klopft es vorne. Ich sehe auf. Es ist Dona Ermelinda, ich gehe an die Tür.
    „Geht´s Ihnen gut?“, sagt Dona Ermelinda. „Alles in Ordnung?“
    „Aber ja“, lüge ich. „Alles gut.“
    „Na dann melden Sie sich doch mal bei Nicki und Paul“, sagt Dona Ermelinda. „Die machen sich nämlich Sorgen.“
    Jetzt schlägt´s aber dreizehn. Ich fasse es nicht. Ich kann überhaupt nicht glauben, was ich da höre. Mir fällt sofort der kleine Junge auf You Tube ein, der Junge, der vom Zahnarzt kommt, und ist noch halb betäubt. Und er sitzt da und sagt: Is this real life ? Und dann gleich hinterher: Why me ? Eine Frage, die wir uns ja alle immer wieder mal stellen. Und ich verstehe jetzt total, wie er sich fühlt, der arme kleine Junge, denn ich fühle mich genauso.
    „Aber ...“, sage ich. „Wieso, ich meine, wie ...“
    „Sie kennen doch meinen Schwager in Porto“, sagt Dona Ermelinda.
    Ich nicke.
    „Und der“, sie macht eine Pause und überlegt. „Der hat eine Schwägerin in Kanada, irgendwo im Westen, in dieser Stadt mit V ...“, sagt sie.
    „Vancouver?“, sage ich.
    „Nein, eine andere“, sagt Dona Ermelinda.
    „Victoria?“, frage ich.
    „Ja genau, das war´s. Victoria. Und die Tochter von dieser Schwägerin lebt in dieser anderen Stadt.“
    „Vancouver“, sage ich.
    „Und die hat sich im Urlaub in Mexiko in einen Deutschen verliebt, den will sie im Oktober heiraten.“
    Ich nicke wieder. Ich meine, was soll ich sagen. Noch ein Globalisierungsopfer, sozusagen. Außerdem hat´s mir sowieso die Sprache verschlagen, irgendwie.
    „In Deutschland. Mit allen deutschen Verwandten. In einer Stadt im Norden irgendwo. Fängt mit H an.“
    „Hamburg?“, sage ich.
    „Nein“, sagt Dona Ermelinda.
    „Hannover?“, sage ich.
    „Ja“, sagt Dona Ermelinda. „Das könnte die Stadt sein. Und deswegen lernt sie deutsch. Bei Ihrer Freundin Nicki.“
    Nicki ist nicht mehr meine Freundin, finde ich, und wenn sie das Dona Ermelindas Schwager oder Nichte oder wem auch immer erzählt hat, dann war das eine Lüge.
    „Aber wie kommt Nicki dazu, mit ihr über mich zu reden?“, sage ich.
    „Ach mein Gott“, sagt Dona Ermelinda. „Wie man eben so redet, Sie wissen ja, wie das ist. Jedenfalls macht Nicki sich Sorgen. Und Paul auch. Und die Frage ist, melden Sie sich bei ihr oder soll ich meinen Schwager in Porto anrufen?“
    „Nein, nicht nötig“, sage ich.
    Soweit kommt´s noch. Dass hier fünf oder wieviel Leute über zwei Kontinente telefonieren, nur weil Paul mich nicht besucht. Das werde ich selber regeln. Und zwar gleich.
    “Ich melde mich bei Nicki“, sage ich.
    „Noch heute?“, sagt Dona Ermelinda.
    „Jetzt sofort“, sage ich.
    Dona Ermelinda geht und ich gehe in mein Arbeitszimmer. Ich denke an den kleinen Jungen bei You Tube. Ja, so fühlt sich das an. Ich kann seine Fragen völlig verstehen. Ich frage mich

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