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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Drittel aber darunter. Auf eine 30-Meter-Welle gerechnet heißt das, man stürzt in einen zehn Meter tiefen Abgrund. Wer im Schwimmbad schon mal auf dem Zehn-Meter-Brett gestanden und die blaue Briefmarke betrachtet hat, die eben noch ein großes Becken war, bekommt eine ganz gute Vorstellung von den Dimensionen.
    Eine andere Variante trägt den erbaulichen Namen »Weiße Wand«. Diese baut sich zu kilometeriangen Fronten auf, ein schaumgekrönter Brecher von unvorstellbarer Wucht und solcher Steilheit, dass die Gischt an der Vorderseite herabläuft. Die Andrea Gail, jener glücklose Kutter in Jungers Sturm, endet an einer solchen Wand, die ihn umwirft. Das Filmplakat zeigt ihn im aussichtslosen Bemühen, die marmorierte Vorderfront zu erklimmen. George Clooney hat später die Hauptrolle in Ocean’s Eleven gespielt, er scheint also überlebt zu haben. Von der Besatzung der echten Andrea Gail fehlt hingegen jede Spur. Auch der »Kaventsmann« ist ein übler Zeitgenosse, eine dicke, fette Riesenwelle, die gern vertraulich von der Seite kommt, Schiffe herumreißt und zum Kentern bringt. Ihren Namen verdankt sie übrigens dem guten Leben hinter Klostermauern. Dicke, wohlgenährte Mönche nannte man früher Konventsmänner.
    Ob Schwester, Mönch oder Wand — niemand fährt gern zur See in Erwartung 30 Meter hoher Steilhänge. Nachdem sich die Existenz der Monsterwellen nicht länger abstreiten ließ, tröstete man sich damit, wie überaus selten sie seien. Ein falscher Trost, wie der Radarsatellit ENVISAT mittlerweile enthüllt hat: Mindestens zwei solcher Giganten sind täglich auf den Weltmeeren unterwegs. Studiert man die Statistiken über Schiffsverlust durch Seeschlag, wird schmerzlich klar, wie viele Leben Freak Waves bis heute gefordert haben. Als prominentestes Beispiel gilt vielen der deutsche Frachter München, der im Dezember 1978 nördlich der Azoren spurlos verschwand und mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Monsterwelle zum Opfer fiel. 35 Meter hohe Sturmwellen sind keine Seltenheit. Insbesondere vor Südafrika und im afrikanischen Osten, im Golf von Alaska, entlang der Küste Floridas, südöstlich von Japan, aber auch im Nordatlantik begegnet man ihnen mit schöner Regelmäßigkeit.
    Die Häufigkeit solcher Wellen steht in krassem Widerspruch zur linearen Wellentheorie, an der man sich in der Vergangenheit zu orientieren pflegte. Linearität ist ein mathematisches Prinzip, sozusagen die Lehre von der Berechenbarkeit der Abfolgen. Das Weltbild Sir Isaac Newtons etwa weist sich durch dessen Liebe zur Linearität aus. Ein kleiner Schönheitsfehler im Œuvre des Genies: In der Raumzeit verläuft so gut wie gar nichts linear, auch wenn Prognostiker und Statistiker es gerne so hätten, denn Linearität lockt mit vermeintlichen Vorzügen. Im linearen Universum wäre es beispielsweise kein Problem, die Zukunft vorauszusagen. Man müsste lediglich den Status quo potenzieren und Trends mathematisch hochrechnen. Es gäbe kein unerwartetes Ableben durch Herzinfarkte, keine explodierenden Spaceshuttles, keine One-Night- Stands angeblich treuer Ehepartner, und die Sowjetunion hätte nicht über Nacht zusammenbrechen dürfen. Wir aber erinnern uns des Kausalitätenfilzes und wissen: Irgendwo darin lauert die Abnormität, die Ausnahme von der Regel, die Kumulation, der Kollaps. Bis heute sind wir nur ansatzweise in den Filz vorgedrungen und weit davon entfernt, ihn zu durchblicken. So stellt es die Wissenschaft vor ein Rätsel, warum Freak Waves so häufig auftreten. Vor dem Hintergrund gängiger Berechnungsmodelle, selbst wenn man chaotische Faktoren wie gegenläufige Strömungen, schnelle Windwechsel und Überlagerungen einbezieht, müssten die Monsterwellen viel seltener sein. Doch offenbar ist die Welt noch weit weniger linear beschaffen, als wir bislang zu glauben bereit waren.
    Professor Al Osborne von der Universität Turin hat sich geschworen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Dafür bemüht er die Quantenphysik, sozusagen das Aushängeschild der Nichtlinearität. Da gibt es die berühmte Schrödinger-Gleichung, wonach Elementarteilchen plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, ohne dass sich ihr Verhalten vorausberechnen lässt. Auf makroskopische Strukturen kann man die Schrödinger-Gleichung nicht übertragen, doch Osborne sieht gewisse Ähnlichkeiten im Verhalten von Wellen, wenn diese eine unerwartete Änderung ihres Zustandes durchmachen. Ihr Verhalten wird unberechenbar. Blitzschnell vereinnahmen

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