Nachrichten aus einem unbekannten Universum
kleiner Krustentiere. Tatsächlich stellen die Copepoden oder Ruderfußkrebschen mit 14.000 bekannten Arten einen Großteil des Zooplanktons. Diese Vertreter der Crustaceen sind in allen Gewässern, ob süß oder salzig, zu Hause. Nicht mal Grundwasser ist frei von ihnen. Viele tiefer lebende Copepoden brauchen keine Augen und legen ein äußerst gemächliches Lebenstempo an den Tag, weshalb sie als die Methusalems ihrer Gattung gelten. Auch im Meeresboden findet man sie, oft mehrere tausend Exemplare pro Quadratmeter. Die meisten allerdings treiben als wimmelnde, garnelenähnliche Winzlinge im offenen Meer, ausgestattet mit zahlreichen Paddelbeinchen, langen Antennen und üppigen Eiersäcken. Sie vertilgen Phytoplankton in rauen Mengen, bevor sie selbst von Fischen und Walen gefressen werden, und stellen angeblich den größten Teil der Biomasse des Planeten. Damit liegen sie Kopf an Kopf mit einem anderen Anwärter, dem Antarktischen Krill, der Gleiches für sich in Anspruch nimmt und das Rennen unterm Strich gewinnt.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich Krill nicht sonderlich von den Ruderfußkrebschen, wird lediglich ein bisschen größer. Mit bis zu sechs Zentimeter gehört er schon zum Megaplankton. Auch beim Krill handelt es sich um Krebse vom Aussehen kleiner Garnelen. Der Name klingt ulkig, und in der Tat ist Krill kein wissenschaftlicher Begriff, sondern die norwegische Bezeichnung für Walfutter. Speziell am Südpol ist der Krill König. Des kleinen Krebschens Sonnenschein ist fressen und gefressen sein. Was immer die Antarktis bevölkert, lebt direkt oder indirekt vom Krill, allen voran die riesigen Bartenwale wie Blauwale und Finnwale, die jedes Jahr 40 Millionen Tonnen davon verzehren. Weitere 20 Millionen gehen aufs Konto antarktischer Fische. Auch Pinguine nehmen gerne einen Schnabel voll, und was den Albatros betrifft, sagt er auch nicht nein zu einer Portion Leuchtfutter. Viele Krillarten lumineszieren. Leuchtzellen an Körper und Augen strahlen ein pulsierendes, grünliches Licht ab. In antarktischen Nächten hellen sie das Wasser gespenstisch auf. Auch Kopffüßer schätzen die transparenten Krustentiere mit dem grünen Darm, dessen Farbe sich der Hauptnahrung des Krills verdankt, grünen Kieselalgen. Den Löwenanteil allerdings beanspruchen Robben für sich, von denen einige nichts anderes fressen. 130 Millionen Tonnen der winzigen Krebse putzen sie jährlich weg, sodass Herr und Frau Krill rund um die Uhr mit Fortpflanzung befasst sind.
Und das machen sie gut.
Als Kind wollte mir nicht einleuchten, wie ein über 30 Meter langer Wal mit einer Hand voll Mickerlingen zurechtkommt. Führt man sich jedoch vor Augen, dass alleine der Antarktische Krill bis zu 750 Millionen Tonnen Biomasse auf die Waage bringt, kann man sich ausgedehnte Fressgelage und pappsatte Wale vorstellen: Noch ’n Portiönchen Krill? — Nee, beim besten Willen, ich kann nicht mehr!
Mit solchen Zahlen läuft der Antarktische Krill den Ruderfuß- krebschen den Rang ab. Niemand vermehrt sich so rasant wie der Krill, der aus der Kälte kam. Das hat seinen Grund nicht zuletzt im Verlauf der Meeresströmungen. Sie erinnern sich an den Zirkumpo- larstrom, jenen Kreisverkehr, der ungebremst den weißen Kontinent umfließt? Und wissen Sie noch, wie es südlich von Argentinien vorbei war mit der Beschaulichkeit, als wir hochgespült und mitten hineingeworfen wurden in den Mahlstrom? Wir kamen aus der Tiefe an die Oberfläche. Mit uns gelangten ungeheure Mengen Nährstoffe in die eisnahen Gewässer, auch Phytoplankton. Und Krillkrebschen lieben Phytoplankton noch mehr als Klein-Fritz seine Fischstäbchen. Sie ernähren sich ausschließlich davon.
Überhaupt stellt Phytoplankton die Hauptnahrung vieler Wasserbewohner. Es zu verspeisen erfordert indes ein Spezialbesteck. Winzig wie es ist, würde es unsereinem ständig von der Gabel fallen. Krillkrebse haben jedoch erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, auch am ungemütlichsten Fleck der Erde satt zu werden. Ihre vorderen Beinpaare sind zu einer Art Fangkorb umgestaltet, mit denen sie die mikroskopisch kleinen Pflanzen aus dem Wasser filtern. Im geschlossenen Zustand ist der Korb so dicht gefügt, dass nicht mal einzellige Kieselalgen entwischen können. Kein anderes Tier verwertet die gewaltige Ressource mit solcher Effizienz wie der Krill, dessen Trickkiste damit noch nicht leer ist. Ebenso wie Kühe auf die Weide gehen, macht sich der Krill übers Packeis her, genauer gesagt
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