Nachrichten aus einem unbekannten Universum
jetzt machen Sie sich bewusst, dass alle ozeanischen Becken zusammen 1.400.000.000.000.000.000.000 Liter Wasser enthalten. Sehen Sie? Das ist der Grund, warum Bakterien und andere Einzeller keine Vornamen haben. Niemand wäre in der Lage, sich die alle zu merken.
Allerdings ist das Mikrobenheer in unterschiedlicher Bevölkerungsdichte vertreten. Gleich unter der Wasseroberfläche, wo die lieben Kleinen genügend Licht und Sauerstoff zur Verfügung haben findet man das Gros. Lange glaubte man, in der lebensfeindlichen Tiefsee könnten Mikroben nicht überdauern. Forscher wie Farooq Azam und Craig Carlson belehren uns jedoch eines Besseren. Tatsächlich ist das Wasser auch noch in mehreren Kilometern Tiefe gesättigt mit allen nur erdenklichen Mikroorganismen, und ständig werden neue Arten entdeckt. Was die Biologen in Erstaunen versetzt, ist die Resistenz der Winzlinge. Manche fühlen sich in ätzender, heißer Schwefelbrühe ebenso wohl wie Hans Albers in der Badewanne. Andere benötigen gar keinen Sauerstoff. Archäen zum Beispiel knacken Methanverbindungen noch etliche Kilometer tief im Meeresboden. Dabei wandeln sie jährlich 300.000 Tonnen des marinen Methans in Lebensenergie um — eine gewaltige Menge, die uns als Treibhausgas erspart bleibt. Ohne die Fresslust der Archäen wäre es auf der Erde möglicherweise sehr viel wärmer. Ein anderes Extrem findet sich am Südpol. Jeder See müsste dort eigentlich bis auf den Grund gefroren sein. Doch der Lake Vida im Victoria Valley weist unterhalb von 20 Metern Tiefe freies Wasser auf, so salzig, dass es nicht gefrieren kann. Selbst hier findet man extremophile Bakterien (extremophil bezeichnet in der Biologie die Liebe zum Außergewöhnlichen).
Es scheint keinen Winkel auf der Welt zu geben, den Einzeller nicht besiedelt haben, womit die Schätzungen über ihre Biomasse fast jährlich nach oben korrigiert werden müssen. Denn auch tief im Gestein hat man sie gefunden, in Millionen Jahre alten Sedimenten. Bohrkerne aus dem Mittelmeer wiesen putzmuntere, höchst exotische Gesellschaften auf. Aktuell vermutet man, dass annähernd 30 Prozent der gesamten Biomasse unseres Planeten einige Kilometer tief im Meeresboden lebt. Dort scheint Sulfat eine ähnliche wichtige Rolle zu spielen wie bei uns hier oben die frische Luft. Nach dem Universum im Wassertropfen wäre als Nächstes der Kosmos im Kiesel zu bestaunen, aber dann würde dieses Kapitel endlos werden. Jetzt schon fragen Wale und Haie an, wann sie endlich an der Reihe sind.
Mikroben stehen am Anfang jeder Nahrungskette und oft an deren Ende. Sie sind die Umweltsheriffs, räumen auf und erhalten unsere Atmosphäre. Bisweilen machen sie uns krank oder bringen uns ins Grab, und wer ihnen mit Antibiotika zu Leibe rücken will, scheitert oft genug an ihrer Anpassungsfähigkeit. Sie sind zu winzig, als dass Menschen sie wahrnehmen können, und das ist unser eigentliches Problem. Denn was wir nicht wahrnehmen, existiert nicht in unserer Vorstellung. Dabei können uns die kleinen Herrscher auf vielfältige Weise nützlich sein. Ausgerechnet Saddam Hussein verdankt sich die Erkenntnis, dass man Bakterien gegen Ölteppiche einsetzen kann. Als der damalige irakische Präsident 1991 die kuwaitischen Ölförderanlagen demolierte, verklumpte das aussickernde Öl in Küstennähe zu schwarzem Asphalt. Überraschend schnell siedelten darauf Bakterienmatten und begannen, die Ölrückstände abzuweiden. Auch hierbei handelte es sich um Konsortien, deren oberste Schicht aus Cyanobakterien gebildet war. Die Zusammenarbeit erfolgte nach komplexen Regeln und umschloss diverse Mikrobenarten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen, der TU München, der Hebräischen Universität Jerusalem und des Instituts für Umweltforschung und Umweltschutz in Gaza haben 1998 unter deutscher Federführung mit der Erforschung dieser Bakterienmatten begonnen. Derzeit versucht man nahe Gaza, die schnellen Eingreiftruppen gegen Rückstände von Öl und Pflanzenschutzmitteln einzusetzen, doch kommt man unter den Bedingungen des israelisch-palästinensischen Konflikts leider nur stockend voran.
Immerhin weiß man, dass diese Konsortien je nach individueller Zusammensetzung mit unterschiedlicher Effizienz arbeiten, sich also wie Arzneien mixen lassen. Was zu spaßigen Situationen führen könnte. Wenn demnächst Bakterienmatten kommerzialisiert und an Umweltschützer verkauft werden, wird die erste Frage lauten: »Was
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