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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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giftgetränkte Fäden und lähmen die Beute, die sodann zum Schlund geführt und eingesackt wird. Für Ausscheidungen ist kein After vorgesehen, wo die Wurst reinkommt, kommt sie auch wieder raus. Schluss der Beschreibung. Wesentlich mehr gibt es über den Körperbau des kleinen Architekten nicht zu sagen. In der Wissenschaft spricht man übrigens nicht von Korallen, sondern von Coelenterata, einem Zusammenspiel der griechischen Begriffe für Darm und Loch.
    Ein Darmloch also. Hey, Darmloch! Is’ was?
    Dann doch lieber Koralle.
    Die Körperchemie des Korallenpolypen ist indes von größerem Raffinement. In seinen Körperwänden hausen Myriaden nanogroßer Zooxanthellen, einzelliger Algen. Auf jeden Quadratzentimeter seines Gewebes kommen rund eine Million der fleißigen Einzeller. Zooxanthellen beherrschen die Photosynthese, synthetisieren Glukose und spalten Sauerstoff ab, wovon der Polyp profitiert — beides zusammen macht gut 90 Prozent seiner Nahrung aus und verleiht ihm genügend Energie, sein Kalkskelett zu bauen. Im Gegenzug liefert das Nesseltierchen den Zooxanthellen Kohlendioxid, das es unter Zuhilfenahme von Kalzium-Ionen in Kalziumkarbonat umgewandelt hat: Skelett-Baustoff. Den Kohlendioxid-Überschuss brauchen die Algen wiederum zur Photosynthese. Je mehr sie davon erhalten, desto rascher verläuft die Bildung von Kalziumkarbonat. Die Interessengemeinschaft funktioniert so gut, dass Korallenpolypen, assistiert von ihren Symbionten, zehnmal schneller bauen können als ohne sie. Weil Zooxanthellen aber nur im Sonnenlicht Photosynthese betreiben können, sind Korallenbänke an die oberen 50 Meter der Wassersäule gebunden. Nur nachts wird der Prozess der Photosynthese kurzzeitig unterbrochen, und tatsächlich geht die Kalkbildung in den Zellen der Polypen dann zurück.
    Wie Korallenpolypen aus dem angesammelten Kalziumkarbonat ihr Skelett bauen, ist noch nicht erschöpfend geklärt. Manches spricht dafür, dass die eigentliche Bautätigkeit nachts erfolgt. Dann nämlich verlässt der Polyp seine Kalkbehausung, indem er sich nach draußen stülpt und die Tentakelchen in die Strömung hält. Zur Gänze verlassen kann er sein Appartement nicht, denn alle Einzeltiere sind über ihr Gewebe miteinander verbunden. Doch während seiner nachtaktiven Zeit entsteht ein Hohlraum unter ihm. Kalküberschüsse vom Tage scheidet er nun aus, sie rieseln einfach aus seinem Körpersack heraus in die Wohnhöhle und verfestigen sich dort. Am kommenden Morgen, wenn er sich zurückzieht, wohnt er eine Kalklamelle höher als am Tag zuvor — und das gewaltige, aus Myriaden Einzeltieren zusammengesetzte Gebilde, das wir Koralle nennen, ist ein winziges Stückchen gewachsen.
    Etliche Randbedingungen müssen dafür stimmen: Die Wassertemperatur darf 20 Grad Celsius nicht unterschreiten. Idealerweise liegt sie höher. Erst dann gedeiht der Polyp mit seinen einzelligen Untermietern bestens. Vonnöten ist außerdem ein ausreichender Salzgehalt. Selbst in tropischen Regionen, der Heimat fast aller Korallen, sucht man sie vergebens, wenn große Mengen Süßwasser aus Flüssen ins Meer gelangen oder Industrieabwässer eingeleitet werden. Denn eines haben Polypen mit Touristen gemeinsam — beide lieben sauberes, klares Wasser.
    Vorausgesetzt, die Bedingungen sind erfüllt, kann das Wunder seinen Lauf nehmen. Dann bauen die bislang 700 bekannten Polypenarten Kunstwerke von verblüffenden Ausmaßen und unbegrenztem Formenreichtum, Anziehungspunkt einer atemberaubenden biologischen Vielfalt. Korallenbänke umfassen weniger als ein Prozent des Lebensraumes Meer, doch nirgendwo trifft man auf eine derartige Biodiversität. Verbringen wir also einen Tag in der Korallenstadt. Sie werden begeistert sein. Sogar ein Wellness-Center gibt es hier!
    Aber ich greife vor.
    Inzwischen ist die Sonne höher gewandert. Licht und Wellen marmorieren die wenige Meter tief gelegene Landschaft aus Sand und Seegrasflächen. Plötzlich scheint sich der Boden zu bewegen. Kugelrunde Höckeraugen riskieren einen Blick. Dann stieben körnige Wölkchen auf, als ein Stachelrochen seine Schwingen schüttelt und sich der tarnenden Decke aus Sand entledigt. Eingegraben hatte er ein Stündchen hier verharrt, beschäftigt mit der Frage, ob er die nächtliche Jagd beschließen oder weiter nach Fressbarem stöbern soll. Für einen Stachelrochen ist das eine hochkomplexe Überlegung, die der Instinkt unter Anhörung des Magens zu beantworten pflegt. Augenblicklich hat der

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