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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Magen die besseren Argumente. Mit langsamen Flügelschlägen schwebt der Rochen dicht über den Boden dahin, den Korallenbänken entgegen. Sie sind seine ganze Welt, mehr kennt er nicht. Aus der Luft betrachtet ist das Riff allerdings nur eine von über 2.000 ausgedehnten Korallenbänken, die sich 2.300 Kilometer entlang der Nordostküste Australiens erstrecken und zusammen mit 540 kleineren Inseln die größte bebaute Landschaft der Erde bilden: das Great Barrier Reef.
    Jeder der drei klassischen Rifftypen findet sich hier: Einige der Inseln und Inselchen nennen ein Haus- oder Saumriff ihr Eigen. Das Barrier Reef als Ganzes gehört jedoch — wie schon der Name erahnen lässt — zur zweiten Kategorie, den Barriereriffen. Derartige Riffe haben sich im Laufe der Zeit vom Festland entfernt oder waren immer schon durch Wasserstraßen und tiefe Gräben davon getrennt. Mitunter haben tektonische Verschiebungen fernab der Küste Hügelketten aufgeworfen, und Korallen haben sich dort angesiedelt. Die schönsten Plätze des Barrier Reef erreicht man nur per Motorboot, oft unter Inkaufnahme einiger Stunden Fahrt.
    Auch den dritten Rifftyp findet man hier draußen, die Atolle. Wo Vulkanausbrüche Inseln gebildet haben, sind in Millionen von Jahren kreisrunde Saumriffe entstanden. Als die porösen Lavahaufen mit der Zeit in sich zusammensackten, mussten sich die Korallen nach der Decke strecken, nach der Wasserdecke, um genau zu sein, um nicht unterzugehen. Sie wuchsen weiter dem Licht entgegen und aufs offene Meer hinaus, türmten sich dort als Barriereriffe auf und bildeten Ringe mit einer sandigen Lagune im Innern, wo die versunkene Insel gelegen hatte. Durch Zugänge dem Meer verbunden, wurden die geschützten Lagunen schnell von etlichen Boden bewohnenden Tieren und Fischen besiedelt, und das Atoll war geboren. Die Malediven etwa vor der Südwestspitze Indiens bestehen aus mehreren teils riesigen Atollen, in deren Lagunen an die 2.000 Inseln liegen.
    Und was macht unser Stachelrochen? Der hat das Saumriff der winzigen Insel, in deren Flachwasser sein Schlafbedürfnis von Magensäure zersetzt wurde, mittlerweile erreicht. Die Korallenbank liegt ziemlich weit am Außenrand der riesigen Riffstruktur, die bis zum australischen Kontinentalsockel vorstößt. Dort geht es rapide abwärts. Bis in Tiefen von 2.000 Metern staffelt sich der Kontinentalhang. Zur anderen Seite der Insel verläuft ein rund 50 Meter tiefer Graben, Teil eines regelrechten Verkehrsnetzes aus Wasserstraßen. Es gestattet vielen größeren Arten, vornehmlich Räubern, zwischen den Korallenstädten umherzuziehen. Der Rochen ist also auf der Hut, als er seine Lieblingsstelle aufsucht, eine schlammige Senke. Sie liegt unmittelbar am Rand des Grabens — man könnte auch sagen, am Stadtrand. Eine weniger feine Gegend mit nicht ganz so schönen Korallenblöcken wie im Zentrum, dafür dicht besiedelt von schmackhaften Krebsen, Würmern, Mollusken und kleinen Fischen, die sich fangen lassen, indem man die Flügel über sie krümmt. Eine Falle, aus der es kein Entweichen gibt. Noch mehr allerdings haben es die Muscheln dem Stachelrochen angetan. Sein mehrreihiges Gebiss, das ihn als nahen Verwandten der Haie verrät, knackt Muschelschalen wie Oma an Heiligabend Nüsse. Ohnehin fühlt er sich möglichst dicht über dem Boden am wohlsten, wo er sich blitzschnell eingraben kann, außerdem laden rundum Korallenblöcke und Überhänge zum Verweilen ein.
    Mit peitschendem Flossensaum wirbelt er Schlamm auf und veranlasst zwei kleine, eingebuddelte Garnelen zur Flucht. Eine schafft es, mit zackigen Bewegungen seitwärts zu entkommen, die andere endet zerknirscht als Frühstück. Das sei’s gewesen, beschließt der Rochen beziehungsweise sein Magen, und verzieht sich träge unter eine Tischkoralle. Erst wenn die Dunkelheit zurückkehrt, wird er sich aus seinem schattigen Versteck hervorwagen. Jetzt sollen andere zusehen, wo sie was zu beißen finden.
    Diese anderen lassen nicht lange auf sich warten. Am Hang haben sich Schwärme kleiner und mittelgroßer Fische aufgereiht in der Hoffnung, sich den Bauch voll Zooplankton schlagen zu können. Die Leckerbissen steigen leider erst nachts zur Wasseroberfläche auf, größere Krebse und anderes Makroplankton. Was die Strömung tagsüber herantreibt, ist winzig und meist transparent, sodass man schon sehr genau hinschauen muss. Wie in Acryl gegossen hängen zwei Dutzend olivfarbener Thompson-Doktorfische hinter- und

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