Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Phytoplankton zum großen Fressen und nimmt überhand. Als Folge kippen die betroffenen Gewässer um und verwandeln sich in sauerstoffarme, grünliche Schlickwüsten. Fischen und anderen Bewohnern bleibt die Luft weg. Vordem blühende Lebensräume werden über Nacht zu kleisterigen Wüsten.
    Meere und Ozeane stecken da schon mehr weg, sind allerdings nicht ewig belastbar. Die Ostsee hat schon verschiedentlich den Löffel abgegeben. Unter anderem sind es dänische Schweinezüchter, die das zyklische Sterben eines der meistbelasteten Meere der Welt verantworten. Zigtausend Tonnen eingeleiteter Schweinegülle munden dem Phytoplankton ganz vorzüglich. Der Rest der Schöpfung zwischen Ostdeutschland und Skandinavien quittiert die Sauerei mit mehr oder minder raschem Ableben. Dann gelangen die Kleindarsteller der Meere zu trauriger Berühmtheit — weit über die Warhol’schen 15 Minuten hinaus.

 
Ein Tag in der Stadt
    Das Meer. Schöner, runder Begriff. Um den gewaltigen flüssigen Lebensraum zu beschreiben, der unsere Erde bedeckt, eignet er sich in etwa so sehr wie das Wort Menschheit zur Herausarbeitung der besonderen Charakterzüge von Tante Frieda.
    Es gibt die offene See mit ihren Abgründen, eine blaue Wüste bar jeder Kontur. Ganz anders die Küstenbereiche, wo Lebewesen darauf eingestellt sind, mit den Gezeiten zu leben und beiden Welten das Beste abzutrotzen, der nassen und der trockenen. Es gibt Eismeere und tropische Meere, Binnenmeere und Ozeane, Flachmeere und die lichtlose Tiefsee. Keines dieser Universen ist mit dem anderen vergleichbar. Die Artenvielfalt in der Mündung des Amazonas unterscheidet sich ebenso stark von den Lebensgemeinschaften in der Nordsee wie die Kreaturen der Tiefseegräben von den Bewohnern des Wattenmeeres.
    Allerdings gibt es Plätze, da sieht man besonders viele Arten versammelt. Um hinzugelangen, brauchen Sie ein Flugticket auf die Malediven oder nach Australien, ans Rote Meer, in die Karibik, wonach Ihnen der Sinn steht. Fehlt nur noch jemand, der Ihnen eine Taucherausrüstung umhängt und Ihnen die besten Plätze zeigt. Allzu tief runter müssen Sie nicht. Korallenriffe gedeihen im Sonnenlicht.
    Ein Riff ist die Megalopolis der Tropen. Ein mariner Big Apple, auf engstem Raum besiedelt und erbaut von zig Millionen Architekten, die auf Designpreise pfeifen, obwohl sie jede Menge davon verdient hätten. Die gehen wir jetzt mal besuchen. Und schon schweben wir blubbernd und mit sachten Flossenschlägen dicht unter der Wasseroberfläche dahin, Seite an Seite. Es ist noch früh, eben haben die ersten Sonnenstrahlen das flache Meer in weiches Licht getaucht. Eine Zeit, zu der die meisten Menschen aus verklebten Lidern ihren Wecker anblinzeln und mit Grausen ans Büro denken. Mütter werden von ihren Kindern aus dem Schlaf gequengelt, Singles von ihren hungrigen Katzen angemaunzt. New York, Barcelona, Hamburg, Moskau, Singapur, überall auf der Welt erwachen die Menschen der Reihe nach, sobald die Dunkelheit weicht — nur die Korallenpolypen wünschen einander süße Träume und gehen schlafen. Einen ganzen Tag lang gehört das Riff allein den Fischen und Krebsen, Mollusken und Stachelhäutern, die verschlafen ihre Höhlen, Spalten und Überhänge verlassen. Kurz die Flossen geschüttelt, Fühler gereckt und Scheren gestreckt, und hinein ins turbulente Leben. Die Kalksteincity bereitet sich auf die Rushhour vor. Eine Stadt erwacht, deren architektonische Vielfalt jede von Menschen gebaute Metropole in den Schatten stellt.
    Sind Korallen Schlafmützen?
    Von wegen. Eher verkannte Genies. Immer noch halten viele Menschen sie für Pflanzen, weil ihre wunderbaren Bauten floral anmuten. Dabei sind diese riesigen, busch-, bluten- und baumartig erscheinenden Strukturen gar keine Korallen, sondern Siedlungen. Die Korallen selbst leben im Inneren und an der Oberfläche — der lebende Beweis, dass man nicht groß sein muss, um Großes zu vollbringen.
    So ein Korallenpolyp ist winzig. Ein organisches Säckchen aus der Familie der Nesseltiere, zu der auch Quallen und Seeanemonen gehören. Für sich betrachtet gleicht er einem kleinen Kraken oder Tintenfisch ohne Augen, mal mit weniger, meist mehr Tentakeln. Der Mund ist ein Loch. Die Tentakel gruppieren sich darum herum, bestückt mit Nesselzellen, mikroskopisch kleinen Harpunen in Millionen Körpertaschen, die bei der geringsten Berührung hervorschnellen und sich in den Leib des Opfers bohren. Ihnen hinterher winden sich dünne,

Weitere Kostenlose Bücher