Nachrichten aus einem unbekannten Universum
geschmeckt.
Während er gleich darauf wieder den lieben Onkel spielt, droht eine weitere Attacke. Ein paar Zwergkaiserfische, die Algen von kleinen Steinkorallen weiden, sehen mit Entsetzen das Herannahen eines riesigen Schwarms Juwelen-Fahnenbarsche. Pflanzenfresser verteidigen ihr Stückchen Garten im Allgemeinen bis aufs Blut, doch gegen diese Übermacht bleibt wenig mehr, als aufgeregt umherzuflitzen und immer wieder tollkühn in den gegnerischen Schwarm hineinzustoßen. Manchmal zahlt sich die Hartnäckigkeit aus, doch heute nimmt das Schicksal seinen Lauf. Unbeeindruckt vom wilden Aktionismus der Zwergkaiserfische fressen die Fahnenbarsche die Korallen kahl und ziehen gesättigt weiter. Währenddessen schleppen drei surrealistisch gefärbte Harlekin-Garnelen einen orangegrünen Seestern unter das Geäst einer Feuerkoralle, um ihn dort gemeinsam zu zerlegen.
Unweit davon wuchert eine riesige, fein verästelte Purpurgorgone über die Riffkante hinaus. Im Schatten des meterhohen, farnartigen Gebildes bahnt sich ein weiteres Drama an. Ein Langmaul- Pinzettfisch hat das Interesse einer Muräne geweckt, deren aalartiger Körper sich langsam aus einer Spalte dicht unter ihm hervorwindet. Für die Muräne ist der Fall klar: Ein kleiner gelber Dummkopf, der aus unerfindlichen Gründen beständig mit dem Hintern gegen die Ausläufer der Gorgone stößt, bettelt darum, verspeist zu werden. Mit elegantem Hüftschwung (Muränen bestehen fast nur aus Hüfte) schraubt sie sich hoch und attackiert den Kopf des Pinzettfischs — der zu ihrer größten Verblüffung Reißaus nimmt. Augenblick mal. Irgendetwas stimmt hier nicht. Sie hatte den Kerl doch so gut wie gepackt! Ratlos gleitet sie in ihre Spalte zurück und versucht zu kapieren, was das Begriffsvermögen einer Muräne bis ans Ende aller Tage übersteigen wird.
Sie ist auf einen Augenfleck hereingefallen.
Der Langmaul-Pinzettfisch hat, wie sein Name schon verrät, ein langes, spitzes und dunkel gefärbtes Maul. Auch das Auge ist braun und kaum zu sehen. Optisch beginnt sein Körper erst hinter den Kiemen, dann aber richtig, nämlich knallgelb. Am Ende des Rumpfes sitzt ein dicker schwarzer Fleck. Bei flüchtigem Hinsehen schwört man, dies sei der Kopf. Eine Tarnung, die auch den Vieraugen-Schmetterlingsfisch ziert. Über dessen Schläfe zieht sich ein dunkler Streifen, der im Auge fortgeführt wird, womit dieses regelrecht verschwindet. Dafür starrt sein Hinterteil aus falschen Guckern in die Welt. Und der Mirakelbarsch, der sucht sich ein Loch, von dem er sich nie weit entfernt. Droht Gefahr, schlüpft er Kopf voran hinein, sodass nur noch sein Schwanz rausschaut.
Sein Schwanz? Da lacht Klein-Fritz aus vollem Hals! Wie blöd muss man eigentlich sein? Nicht mal als ganz kleiner Fritz hat Fritzchen geglaubt, es reiche, sich wegzudrehen, um nicht gesehen zu werden. Der Barsch muss äußerst bescheuert sein, das Hinterteil in die Strömung zu halten. Am Arsch wird er gepackt! Doch diesmal irrt der sonst so kluge Knabe. Denn der Schwanz des Mirakelbarsches ist dem Schädel eines Raubfischs wie aus dem Gesicht geschnitten. Man glaubt, das Wesen im Loch werfe seinerseits einen begehrlichen Blick auf den Angreifer, dem plötzlich ganz anders wird. Augenflecken, sieht man daran, sind eine geniale Erfindung unserer Miss Evolution, denn ein gezielter Angriff auf den Kopf ist das Gefährlichste, was einem Fisch passieren kann. All seine Sinne werden schlagartig außer Gefecht gesetzt. So aber hat die Muräne nur einen Fetzen Schwanz erbeutet. Und wird den Vorfall unter Erfahrung ablegen müssen.
Raue Sitten herrschen im Riff.
Manche Doktorfische tragen am Schwanzende zwei schicke, spitze Enden. Damit ist keineswegs zu spaßen, denn wenn der Doktorfisch einem diesen um die Ohren haut, erweisen sie sich als Skalpelle, die klaffende Wunden reißen. Kofferfische sind dick gepanzert, Kugelfische pumpen sich voll Wasser und blasen sich bedrohlich auf. Andere verschmelzen bis zur Unsichtbarkeit mit ihrer Umwelt, so wie der krumpelige Steinfisch, den man oft nicht mal bemerkt, wenn man schon einen seiner hochgiftigen Stacheln in der Nase stecken hat. Kurz, jeder misstraut jedem, und das mit vollem Recht.
Es sei denn, man geht ins Wellness-Center.
Da benimmt man sich gesittet und steht sogar Schlange. Putzertische und Putzergarnelen betreiben ein einträgliches Geschäft. Sie haben Konjunktur, solange die Riffgemeinschaft lebt. Soeben sind zwei Zackenbarsche und ein großer Rochen
Weitere Kostenlose Bücher