Nachrichten aus einem unbekannten Universum
weiter. Wer macht Gulp beim Schlucken? Jemand, der groß ist oder eher klein?
Groß, war die einhellige Antwort. Kleine Wesen machen Glick oder Gluck. Gulp, dazu braucht man eine voluminöse Kehle. So richtig Gulp machen kann eigentlich nur — ein Wal.
Bravo!
Dass Wale gern ein Liedchen schmettern, weiß inzwischen jedes Kind, allein die Wale dürften bass erstaunt sein, das zu hören. Seit es Mode geworden ist, in dem Gestöhne und Gejaule Melodien auszumachen, gibt es regelrechte Walcharts, denn die Meeressäuger ändern jede Saison die Lautabfolge. Daraus schließen Geheimniskrämer auf immer neue verschlüsselte Botschaften aus den Tiefen der Ozeane. Fest steht indes nur eines: Was auf CDs für Meditationsabende ätherisch juchzt, ist im Unterwasseralltag geeignet, Trommelfelle zum Erzittern zu bringen. Zwischen 150 und 180 Dezibel messen Walforscher, wenn paarungswillige Bullen zum Minnesang ansetzen oder konkurrierenden Männchen zeigen wollen, wo die Tür ist. Ebenso gut könnte man sich neben die Startbahn eines Militärflughafens postieren.
Tatsächlich sind längst nicht alle Wale des so genannten Gesangs mächtig. Ausschließlich Buckelwale kommen in die esoterische Hitparade. Blauwale und Finnwale hingegen röhren im Infraschall, und Grauwale knarren wie alte Dielen. Bislang galt, dass jede größere Gruppe Buckelwale ihr eigenes Liedgut anstimmt, in das sämtliche Tiere mehr oder weniger folgsam einfallen. Mittlerweile haben die Säuger so etwas wie den Kulturaustausch entdeckt. Im Osten Australiens hat man begonnen, den aktuellen Schlager von der Westküste mitzuträllern, nachdem Besucher ihn von dort importiert hatten. Darüber hinaus unterscheiden sich die Wortmeldungen der so genannten Furchenwale — Blauwale, Finnwale, Zwergwale, Seiwale, Brydewale und Buckelwale — in Dialekten voneinander. Im Ostpazifik wird volkstümlicher geknarzt als im Westen, im Atlantik hört man andere Tonfolgen als im Indischen Ozean. Was immer man darin zu erkennen glaubt, arttypisches Repertoire oder lebendige, entwicklungsfähige Sprache: »Walisch«, wie Anke Engelke es dem Blauen Doktorfisch Dorie aus Findet Nemo unnachahmlich in den Mund legte, unterscheidet sich je nach Revier oder Spezies ebenso voneinander wie Dieter Bohlens Autobiographie von der Reich- Ranickis.
Sie alle aber machen eines mit Begeisterung: Gulp!
Im Englischen bezeichnet Gulp einen großen Schluck, kann aber auch bedeuten »herunterwürgen, schlucken, reingießen«. In der Sprache der Cetologen, also Walforscher, versteht man darunter den Akt der Nahrungsaufnahme bei Furchenwalen, die eine große Familie bilden, etwas kürzere Barten haben als Glattwale, dafür aber charakteristische Längsfurchen an der Unterseite, die sie im Bedarfsfall enorm dehnen können. Wenn ein Furchenwal auf einen Krillschwarm trifft, bläht er seinen Kehlsack zu einem riesigen Nahrungsreservoir. Für kurze Zeit nimmt er das Aussehen eines Heißluftballons mit Kiefern an. Diese klappen an der Wasseroberfläche auseinander, der Wal nimmt einen gewaltigen Schluck — Gulp! — und verleibt sich zentnerweise Krill und anderes Kleinzeug ein. Wenn er die Kiefer wieder schließt und das Wasser durch seine Barten auspresst, bleibt das Plankton hängen. Man spricht vom Gulp-Verfahren, das allen Furchenwalen eigentümlich ist, oder auch vom Schluckfiltrieren. Milliarden Krebslein, Fische, Salpen, Würmer und Medusen werden so ihrer Bestimmung zugeführt. Gulp!
Das Problem mit lebendigem Essen ist, dass es sich nicht brav auf einen Teller schichten lässt. Es versucht zu fliehen, was zu Komplikationen führt. Stellen Sie sich vor, Kartoffeln, Gemüse und Gulasch würden sich in alle Richtungen davonmachen, dann müssten Sie entweder hungrig ins Bett gehen oder versuchen, das flüchtige Essen wieder zusammenzutreiben. Vor ähnliche Schwierigkeiten sieht sich der Furchenwal gestellt, der darum einen raffinierten Trick entwickelt hat. Buckelwale etwa tauchen tief unter einen Schwarm Krill, schrauben sich in einer Spirale nach oben, umkreisen die Krebschen und erzeugen dabei einen Ring aus Luftblasen. Dem Krill ist das Geblubber nicht geheuer, und so rücken die Tiere näher zusammen. Wie hinter Gittern scheint es ihnen unmöglich, den perlenden Zylinder zu verlassen, der sich plötzlich gebildet hat, und ehe sie noch über ihren Schatten schwimmen können, hat es Gulp gemacht.
Tja. Wale.
Kaum eine Tierart spaltet die Geister mehr. Für den unseligen Kapitän Ahab war
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