Nachrichten aus einem unbekannten Universum
eingetroffen, auch ein Weißspitzenhai nähert sich zögerlich, ist offenbar noch unentschlossen. Die winzigen Putzerfische vollführen unterdes abstruse Tänze, um Aufmerksamkeit zu erheischen. An den Putzerstationen herrscht reger Wettbewerb, Werbung und Marketing werden hier groß geschrieben. Das Gezappel zeigt Wirkung, denn wie auf Kommando öffnet der vorderste Barsch brav das Maul. Keine Taktik diesmal. Es wurde schon erwähnt, dass an Putzerstationen ungeschriebene Gesetze herrschen, wonach Zahnärzte und Kosmetikerinnen nicht gefressen werden. Dazu sind einige Rituale erforderlich. Putzergarnelen verlassen ihre schützenden Löcher erst, wenn der Kunde durch passive Haltung und Maulaufsperren signalisiert, sich an die Regeln halten zu wollen. Nur dann kommt er dran. Aber wie! Nicht nur seine Zähne werden gereinigt, die Putzer fressen auch abgestorbene Hautschuppen, Pilze und Parasiten. Besonders Letztere sind eine Spezialität der Garnelen, die mit ihren scharfen Scheren selbst eingewachsene Quälgeister herausoperieren. Auch Doktorfische partizipieren an der florierenden Dienstleistungsbranche. Einen Korallenblock weiter sind mehrere von ihnen mit Panzerpflege befasst. Eine große, alte Meeresschildkröte gibt sich wohltuender Ruhe hin, während die Doktoren eifrig den Bewuchs aus verrotteten Algen von ihrem Rücken entfernen. Haie vertrauen ihr Gebiss eher Schmetterlingsfischen an, die es effizient von Speiseresten säubern.
Niemals würde der Hai den Schmetterlingsfisch fressen. Es wäre zu seinem Schaden — etwa so, als verschlucke man seine Zahnbürste.
Ein Wunder, so viel Koexistenz? Nein, denn niemand entwickelt hier freundschaftliche Gefühle für den anderen. Das Ganze ist Ausdruck eines der wichtigsten Prinzipien im Riff:
Symbiose.
In symbiotischen Lebensgemeinschaften herrscht ein ständiges Geben und Nehmen. Jeder der Partner trägt Nutzen davon. Dass die Putzer so gut im Geschäft sind, verdanken sie einer weit unangenehmeren Form der Zweckgemeinschaft. Parasiten sind das egoistische Gegenteil von Symbionten. Sie haben nichts zu geben, sondern befallen ihre Wirte und plündern sie aus bis aufs Blut. Dem Parasiten geht es dabei immer besser, dem Wirt immer schlechter. Harmloser sind da schon die Schmarotzer, Schiffhalter etwa. Das sind komische Fische mit abgeplattetem Kopf, die sich an Haien und anderen Großfischen festsaugen und mittragen lassen. Schmarotzer geben nichts für das, was sie bekommen, schaden aber auch nicht. Menschen werden die Symbiose als die sympathischste Art der Lebensgemeinschaft empfinden, vor allem aber ist sie die höchstentwickelte Form des Zusammenlebens auf engem Raum. Entsprechend mannigfach kommt sie vor, mit erstaunlichen Resultaten. Der kleine Fisch aus Findet Nemo haust im Inneren einer Anemone und heißt darum Anemonenfisch. Er ist der Einzige, der sich zwischen den giftigen Fangarmen des Raubtiers bewegen kann, ohne Schaden zu nehmen. Die Anemone gewährt ihm Schutz, sie markiert sein Revier. Dafür geht der kleine Fisch auf jeden los, der versucht, an der Anemone herumzuknabbern.
Reviere sind der eigentliche Reichtum im Riff. Wer ohne Revier ist, hat keine Nahrung, kein Zuhause, keinen Schutz. Nur sehr wenige Riffbewohner fristen ein Dasein als Obdachlose, so wie der GitterDoktorfisch, der sich allerorten zum Essen einlädt und seltsamerweise geduldet wird. Ausnahmen bestätigen die Regel, und längst nicht alle haben wir verstanden. Ansonsten gilt, dass Reviere verteidigt und von Patrouillen gesichert werden, als rückten die Hunnen an. Was sie ja auch des Öfteren tun.
Allmählich wird es dämmrig.
Mit tropischer Schnelligkeit sinkt die Sonne hinter den Horizont, und das Bild wandelt sich. Eine gute Viertelstunde lang scheint die Riffstadt wie ausgestorben. Von einem Augenblick auf den anderen hat sich alles ins Private zurückgezogen. Jeder hockt in seinem Winkel, seiner Spalte, unter seinem Vorsprung, manch einer hat die Körperfarbe abgedunkelt in der Hoffnung, so zu überleben. Gehäuseschnecken fahren lange, dünne Rüssel aus und bohren sie in dämmernde Fische, um unbemerkt ein bisschen Blut zu zapfen.
Nach einer Weile lassen sich einige junge Kardinalfische blicken. Auch in den Schwarm der Schwarzstreifen-Soldatenfische kommt Leben, die ihr Refugium unter den Elchgeweihkorallen verlassen. Die Zeit der Nachtjäger ist angebrochen. Aus tonnenförmigen, zerklüfteten Schwämmen ringeln sich Schlangensterne und Haarsterne. Muränen werden
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