Nachrichten aus einem unbekannten Universum
erglühe er selber auf mysteriöse Weise. Zwei Jahrtausende später wurde das Geheimnis gelüftet, als man Wasserproben unter dem Mikroskop untersuchte und sie gesättigt fand von Noctiluca scintillans, Noctiluca miliaris und Pyrocystis noctiluca: 0,2 bis 2 Millimeter große Dinoflagellaten, die sich vermittels rotierender Geißeln wie winzige Unterseeboote voranschrauben. Diese einzelligen Panzeralgen senden rhythmische Lichtimpulse aus, wenn man sie berührt, so genanntes biogenes Licht. Im Griechischen heißt Bios Leben, Lumen ist lateinisch und bedeutet Licht — zusammengenommen Biolumineszenz.
Winzige Wellenbewegungen reichen den Algen, um ihr körpereigenes Enzym Luziferase zur Bildung des Substrats Luziferin zu veranlassen. Dieses reagiert mit Sauerstoff. Das daraus resultierende Leuchten stellt jede Glühbirne buchstäblich in den Schatten, denn die Energieausbeute beträgt 100 Prozent — gerade mal fünf Prozent sind es bei elektrischem Licht. Dabei wird so gut wie keine Wärme erzeugt. Algen produzieren kaltes Licht. In welchem Ausmaß, zeigten Satellitenaufnahmen der See vor Somalia. Auf einer Fläche von rund 15.000 Quadratkilometern schimmerte das Wasser drei Nächte hintereinander wie Perlmutt, während sich das leuchtende Areal mit der Strömung langsam entfernte. Meeresleuchten ist ein typisches Indiz für Algenblüten, also die massenhafte Produktion von Phytoplankton in besonders nährstoffreichem Wasser. Die Satellitenbilder helfen so, Aussagen über die Meeresströmungen zu treffen, mit denen Nährstoffe herantransportiert werden.
Viele größere Bewohner tiefer Schichten wie Fische und Quallen sind in der Lage, Luziferin in speziellen Körperzellen zu erzeugen, den Photoporen. Man spricht in diesem Fall von Leuchtorganen. Ein Begriff, der sich bei Einzellern erübrigt, da diese selbst das Organ sind. Wer kein eigenes Licht produzieren kann — Anglerfische etwa und einige Tintenfische —, dem verhelfen biolumineszierende Bakterien zu funkelnder Präsenz, indem sie winzige Körpertaschen ihrer Wirte besetzen und von deren Stoffwechsel profitieren. Bemerkenswert ist, dass Tiefenbewohner nicht einfach vor sich hin strahlen, sondern selbst entscheiden, wann sie gesehen werden wollen und wann nicht, Bakterien ebenso wie Fische. Die Eigenproduzenten knipsen sich praktisch an und aus, die Wirte öffnen und schließen ihre Körpertaschen.
Wozu ist das blaue Wunder nun gut, das mitunter auch gelb oder grün sein kann? Zur weiträumigen Erhellung der Umgebung taugt es kaum. Was Menschen vorkommt wie ein gelungener Versuch von Miss Evolution, uns prächtig zu unterhalten, dient ausgeklügelteren Zwecken. Es geht um die drei Grundregeln des Lebens in ewiger Finsternis:
1. Fressen, ohne sich viel zu bewegen
2. Möglichst nicht gefressen werden
3. Sex, Sex und nochmal Sex
Befassen wir uns mit Regel Nummer eins, nämlich wie man etwas zu beißen bekommt, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Im Allgemeinen schwimmt das Essen davon, sobald es den Jäger erblickt. Ergo sollte man erwarten, dass Räuber die Schwärze der Tiefsee schätzen und unsichtbar bleiben. Da dies sehr zu Lasten der Gejagten ginge, werden auch diese sich tarnen, und die allerbeste Tarnung wäre theoretisch, ebenfalls nicht gesehen zu werden.
Pardon, sagt Klein-Fritz, aber dann ist die ganze Idee der Biolumineszenz doch völliger Blödsinn! Leuchtet der Jäger, macht sich das Opfer von hinnen, leuchtet es selbst, zieht es ihn an.
Nein, kontert Klein-Erna, überhaupt kein Blödsinn. Wenn überall die Lampen ausgingen, hätte keiner was davon. Wie soll ein Räuber seine Beute finden in pechschwarzer Nacht, wie soll überhaupt jemand was zu fressen finden? Alle würden wie paralysiert in der Tinte sitzen, bekämen Kopfweh vom Lärm des allgemeinen Magenknurrens, und Sex gehörte der Vergangenheit an.
Mädchen sind ja so viel weiter als Jungs.
Es gibt also nur eine Alternative. Entweder keiner leuchtet. Oder alle! Ersteres erübrigt sich, bleibt Las Vegas bei Nacht.
Darum leuchten beispielsweise auch die Anglerfische, gefräßige Gesellen mit Ballonkörpern und riesigen Mäulern voll nadelspitzer Zähne, die unterhalb von 1.000 Metern zu Hause sind, in der Dunkelzone. Genauer gesagt leuchtet nur ihr Köder. Ein biegsamer, langer Fühler entwächst ihrer Stirn, an dessen Ende etwas Glimmendes hin- und herschwingt, ein mit Leuchtbakterien gefülltes Säckchen. Ausschließlich dieses nehmen andere Tiere in der Dunkelheit wahr.
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