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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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teuthis nur acht Arme zu besitzen statt der erforderlichen zehn. Erst bei näherem Hinsehen entdeckt man zwei zusätzliche, fadendünne Auswüchse ohne Saugnäpfe, die das Tier die meiste Zeit zusammengerollt in Körpertaschen verstaut. Möglicherweise schmeckt es damit. Was jedoch wirklich erstaunt, ist seine Fähigkeit, in sauerstoffarmer Umgebung zurechtzukommen und trotz extrem verlangsamten Stoffwechsels blitzschnell reagieren zu können. Das Geheimnis liegt dem kleinen Kerl wie jedem anständigen Vampir im Blut: statt Hämoglobin enthält es Hämocyanin, einen Stoff, der sich auch unter lebensfeindlichen Bedingungen zur Sauerstoffgewinnung eignet. Die meiste Zeit seines Nachtschattendaseins verbringt Vampyroteuthis in Trägheit, doch sobald es drauf ankommt, flattert er schneller davon als Nosferatu, wenn er mal für kleine Blutsauger muss.
    Nur einer schlägt Vampyroteuthis, was die Kunst der Verteidigung betrifft, ein Ruderfußkrebschen. Das schießt bei Gefahr eine Leuchtwolke ab, die man erst mal gar nicht sieht. Mit einiger Zeitverzögerung explodiert das Wölkchen in einem gleißenden Blitz, dem der Jäger sogleich hinterherspurtet — natürlich in die falsche Richtung. Ungefähr so, als stünde Catherine Zeta-Jones im Westflügel der Paramount-Studios, während alle Männer in den Ostflügel stürzen, wo ihr Duft in der Luft hängt.
    Nur die wenigsten Kreaturen der Dunkelzone verzichten völlig auf Leuchtorgane. Der Pelikanaal zum Beispiel besitzt keine Photoporen, ist allerdings ein derart merkwürdiger Zeitgenosse, dass Miss Evolution nach Fertigstellung vielleicht fand, man müsse es nicht übertreiben und den Burschen auch noch leuchten lassen. Das Tierchen zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Vielleicht so: Man stelle sich eine riesige, bauchige Muschel mit lederiger Oberfläche vor, die plötzlich aufklappt. Nur ein schmales Scharnier scheint die beiden Hälften miteinander zu verbinden. Reihen kleiner, nadelscharfer Zähne werden sichtbar. An der Oberseite des gewaltigen Mauls sitzen winzige, punktförmige Augen. Damit ist der ganze Kerl beschrieben, fehlt nur noch der dünne, rund ein Meter lange Schlauch, welcher der oberen Hälfte entspringt, als trage die Muschel ein Zöpfchen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um den Körper eines Tieres, dessen Kiefer einzig von einer elastischen Membran zusammengehalten werden. Was klingt wie ein Fisch, der miserabel schwimmt, ist auch ein Fisch, der miserabel schwimmt. So miserabel, dass der Pelikanaal senkrecht in der Tiefe hängt und — wenn ihm was zu nahe kommt — einfach seine Kiefer auseinander klappt. Der entstehende Sog befördert die Beute ins Innere des Schlauchkörpers, der sich als noch dehnbarer erweist als der des Hairy Angler. Könnte ja sein, dass die Beute ebenfalls was gefressen hat, das größer war als sie selber.
    Überflüssig zu erwähnen, dass in der Dunkelzone jeder jeden vernascht. Wo wir aber gerade beim Vernaschen sind: Erinnern Sie sich noch an die Paarungsgewohnheiten des Anglerfischs aus dem Kapitel »U-Boote vor Gondwana«? Stichwort Sexualdimorphismus: Ein riesiges Weibchen und ein winziges Männchen, das mit den Genitalien seiner Herzdame verwächst. Auch Partnersuche und Begattung sind kein spaßiges Unterfangen in der Dunkelzone, also wird Biolumineszenz fleißig eingesetzt, um sich als paarungswilliges Männchen oder Weibchen auszuweisen. Regel Nummer drei: Sex, Sex und nochmal Sex!
    Der Köder des Anglerfischweibchens wird dabei vom Männchen als Zeichen sexuellen Appetits verstanden, worauf es eilt, dem Begehren zu entsprechen. Winzig ist das Männchen, hat auch keine Angel, muss wahrscheinlich nie in seinem Leben jagen, sondern sich lediglich mit heftigen Schlägen seines kleinen, muskulösen Schwanzes durch die Nacht stoßen, bis es sein Ziel erreicht hat. Dieses scheidet zur besseren Orientierung noch ein paar ermunternde Düfte aus. Anderen Dunkelzonenbewohnern ist selbst das zu kompliziert. Sie ziehen es vor, beide Geschlechter in sich zu vereinen. Zwitter kommen mit zunehmender Tiefe häufig vor. Man selbst ist schließlich der Einzige, den man in stockfinsterer Nacht nicht verlieren kann; und dass man sich wegen einer Jüngeren verlässt, steht auch nicht zu befürchten.
    Nur die gewaltigsten Tiere der Dunkelzone ziehen es vor, unsichtbar zu bleiben. Eines davon, der Pottwal, kommt gelegentlich zu Besuch aus den oberen Schichten, nimmt seine Portion Leuchtfutter ein — vornehmlich Kalmare — und

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