Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Oberfläche, hat man eine Chance zu überleben. Die Striemen müssen mit Salzwasser ausgespült werden, niemals mit Süßwasser! Man sollte keinerlei Versuche unternehmen, anhaftende Nesselzellen abzureiben, sondern Sand darauf häufen und die Tentakel langsam und vorsichtig mit einem Messer abschaben. Ist der Betroffene bei Bewusstsein, wird er vor Schmerzen stöhnen und schreien. Dagegen hilft fürs Erste fünfprozentige Essiglösung, die man über die Wunden gießt.
Und dann ab ins Krankenhaus — so schnell wie möglich!
Auch in der Tiefe sind Staatsquallen unterwegs und legen ihre leuchtenden, spinnwebartigen Netze aus. Ebenso wie Apolemia verfügen sie über Auftriebskörper, die mit Wasser statt mit Gas gefüllt sind. Anders geht es in der Tiefsee nicht. Wasser ist nur in geringem Maße kompressibel, während Gas pro zehn Meter, die man tiefer sinkt, auf die Hälfte seines Volumens gestaucht wird. Schuld ist der zunehmende Umgebungsdruck. Der durchschnittliche Luftdruck auf Meeresspiegelhöhe beträgt ein Bar oder eine Atmosphäre, also das Gesamtgewicht aller Luftschichten. Ziemlich genau ein Bar beträgt auch der Druckunterschied zwischen Erdoberfläche und äußerem Weltraum. Doch Wasser hat eine 800 Mal höhere Dichte als Luft. Schon in hundert Meter Tiefe beträgt der Druck elf Bar, Gas wird entsprechend komprimiert. In 3.000 Meter Tiefe lasten 300 Kilogramm auf jedem Quadratzentimeter Körperfläche! Unerfahrene Taucher, die aus 20 oder 30 Meter Tiefe zu schnell aufsteigen, haben ihre mangelnde Kenntnis der Physik schon mit dem Leben bezahlt, wenn sich ihr Lungenvolumen schlagartig wieder auf das Vielfache ausdehnte. Sind die Lungenflügel nicht vollständig ausgeblasen, können sie regelrecht explodieren. Bestenfalls hat man einen kleinen Lungenriss zu beklagen, oft genug endet der Tauchgang mit dem letzten Schnaufer.
Kreaturen der Tiefsee besitzen darum keine luftgefüllten Hohlräume. So können sie aufsteigen und sinken, ohne Schäden davonzutragen, solange sie den für sie verträglichen Druckbereich nicht verlassen. Auch schnelle Manöver in der Vertikalen stellen kein Problem dar. Mit blinkenden Positionslichtern jagen Rippenquallen hinter planktonischen Krebsen und Fischen her. Anzunehmen, Quallen seien grundsätzlich den Bewegungen der Strömung unterworfen, ist ein gefährlicher Irrtum. Einige verfügen sogar über hoch entwickelte Sinne wie Augen und navigieren mit großem Geschick. Überhaupt sind die Augen in der Restlichtzone riesig, verglichen mit den meisten Bewohnern der Dunkelzone. Erinnern Sie sich noch an Tweety, den kleinen gelben Zeichentrickvogel, auf den Kater Sylvester immer so scharf war? Großer Kopf, winzige Flügelchen, riesige Augen. Nun stellen Sie sich Tweety vor, wie er als Zombie aussehen würde, in modrigem Grau, mit pupillenlosen, hervorquellenden Glubschern. Schon erhalten Sie ein Bild von Winteria, einem Tiefseefisch, dessen Röhrenaugen so beschaffen sind, dass er ständig nach oben schaut. In der Restlichtzone ist der Himmel nicht schwarz, sondern blau bis tiefdunkelblau, man kann Beutetiere als Schattenrisse sehen. Histioteuthis, ein Tiefseekalmar, zollt diesem Umstand auf ganz eigenwillige Weise Tribut. Er schwimmt grundsätzlich auf der Seite, ein Auge in die Tiefe gerichtet, um herannahende Jäger auszumachen, das andere, dreimal so große, zur Oberfläche gewandt.
Auch der Beilfisch, der tatsächlich so aussieht, als könne man Holz mit ihm hacken, blickt nach oben in Erwartung von Plankton. Unglücklicherweise sind seine extrem lichtempfindlichen Augen so angeordnet, dass ihm der Blick in die gefahrvolle Tiefe verwehrt bleibt. Dafür aber ist seine Unterseite bestückt mit Leuchtorganen, die blaues Licht produzieren — raffinierterweise exakt die Wellenlänge, die von der Oberfläche herabdringt, nämlich 480 Nanometer. Dadurch und dank silbrig reflektierender Körperflanken wirkt er gegen den blauen Himmel wie weggezaubert. Und man weiß ja — aus den Augen, aus dem Sinn.
Doch was wäre ein rechter Räuber, wenn er nicht Methoden entwickelt hätte, um die Tarnung zu durchschauen. So sind einige Fische imstande, biogenes von echtem Licht zu unterscheiden. Da kann der Beilfisch leuchten, so viel er will, es geht ihm an die Schuppen. Und wieder laufen sie, die Roten Königinnen, und hecheln um die Wette: Tarnung, Enttarnung, Tarnung, Enttarnung, schlimmer als bei James Bond.
Die Königinnen laufen, die Laternenfische wandern.
Aus knapp zwei Kilometern
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