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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Tiefe steigen sie, wenn die Nacht hereinbricht, bis dicht unter die Wasseroberfläche auf. Drei Stunden dauert jedes Mal die Reise. Tausende der kleinen Leuchten, die ihre Photoporen direkt unter den Augen tragen, streben in nährstoffreiche Gewässer, denn auch das Plankton zieht es nachts zur Oberfläche, wenn tagaktive Jäger Bettruhe halten. Die blinkenden Äuglein der Laternenfische ziehen planktonische Fische und Krebse, von denen sich die Blinkies vorzugsweise ernähren, magisch an — allerdings auch nachtaktive Haie. Wenn so einer kommt, schließt der Laternenfisch schnell eine Hautfalte unter dem Auge, und das Licht verschwindet. Auf diese Weise könnte er sogar morsen, wenn er sich nur dazu abrichten ließe. Doch nicht umsonst sagen die Italiener: Sei stupido come unpesce. — Du bist dumm wie ein Fisch.
    Ohnehin liefert das schönste Schauspiel der Muschelkrebs Cypri- dina. Wenn Männchen und Weibchen sich beim Liebesakt vereinen, leuchten sie strahlend hell wie kleine Sonnen!
    Mal ehrlich: Ist das nicht romantisch?

 
Im Tiefgeschoss der Schöpfung
    Wenn zwei Venuskörbchen sich unterhalten könnten, würden sie vielleicht darüber philosophieren, wie der Himmel beschaffen sei und was jenseits der Schwärze liege.
    Da diese Schwärze allgegenwärtig ist, kämen sie in ihrer Betrachtung nicht sonderlich weit. Immerhin würden sie konstatieren, dass es ein Umfeld gibt, weil aus diesem das nette Garnelenpärchen kam, das seit kurzem in einem der Körbchen wohnt. Außerdem würden sie feststellen, dass ihre Umgebung an ihnen vorbeiströmt und immer neue Nahrungspartikel mit sich führt. All dies zusammen ergäbe ein Venuskörbchen-Weltbild samt einer putzigen kleinen Schöpfungsgeschichte: In sieben Tagen hat Gott die Welt erschaffen. Zuerst das Dunkel. Dann das fließende Wasser, danach den festen Boden. Schließlich alles Leben, also die Mikroben, Garnelen und etliche andere Organismen, die immer mal wieder des Wegs daherschleichen oder in der Dunkelheit über die Körbchen hinwegklettern. Schließlich das Manna, jene flockige Substanz, die aus der Schwärze herabregnet, und endlich die Venuskörbchen selbst.
    Daraufhin, wissen die Körbchen zu erzählen, sei Gott erschöpft gewesen und habe einen Tag ausruhen müssen, denn so eine komplizierte Welt koste Kraft, wenn man sie in so kurzer Zeit erschaffe. Gefragt, wie Gott denn aussähe, müssten die Venuskörbchen sehr, sehr lange überlegen. Wie etwas aussieht, hat für Bewohner teerdunkler Abgründe wenig Bedeutung. Vielleicht offenbare er sich in der allgegenwärtigen Strömung oder im Manna, mutmaßen sie. Andererseits sei wohl anzunehmen, dass Gott die Körbchen nach seinem Bilde geschaffen habe, alles andere wäre ja widersinnig, also werde er von ähnlicher Gestalt sein wie sie selbst. Ein würdig dreinblickendes Venuskörbchen.
    So hat jeder seine Version.
    Die Garnelen verehren natürlich einen Garnelengott und erzählen dieselbe Geschichte in abgewandelter Form. Sie munkeln, dass es jenseits des festen Bodens einen unermesslichen Raum gebe, durch den sie als Larven getrieben seien. Dort, berichten sie, existiere eine ungeheure Vielfalt kleiner und größerer Lebensformen, auch am Boden würden weit mehr Wesen leben, als es sich ein Körbchen jemals träumen ließe. Nach oben hin aber verliere sich das Leben ohne Zweifel und werde weniger, woraufhin das unendliche Nichts käme, das Nadal, der ungeschaffene Raum.
    Das können die Venuskörbchen kaum glauben und sich schon gar nicht vorstellen. Doch hat man als filigranes Glaswesen, das am Boden festgewachsen ist, wenig Gelegenheit zur Überprüfung. Außerdem übersteigen derlei Mysterien den gesunden Körbchenverstand. Wer ist man schließlich, die höheren Dinge zu hinterfragen.
    Ein Schwamm ist man.
    Ein Glasschwamm, um genau zu sein, wissenschaftlich Euplectella aspergillum. Ein Wesen, das schier verrückt würde über der Vorstellung, die Vielfalt des Leben nähme nach oben hin zu, und dass sich die Welt nicht im Nadal verliere, sondern jenseits des flüssigen Universums ein gasförmiges existiere, in dem noch viel unheimlichere Gestalten zu Hause sind: Menschen, vom Ehrgeiz gepackt, die entlegensten Winkel ihres Planeten auszuloten. Glücklicherweise werden Venuskörbchen nicht verrückt, auch führen sie keine gelehrten Disputationen über Hadal und Nadal. Denn wenn es ihnen an etwas mangelt, dann an Hirn.
    Wundersame Wesen sind sie, heimisch in fünf bis sechs, mitunter sieben Kilometer

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