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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Hauptverkehrsweg. Hier zweigen Zubringer zu Flussläufen ab, wo die Lachse alljährlich laichen und zwecks dessen die bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt haben, stromaufwärts zu schwimmen und große Höhenunterschiede zu überwinden. Das Bild des springenden Lachses, der dem Grizzlybären praktisch in den Mund hüpft, ist weithin bekannt. Orcas, die kaum etwas anderes mögen, beanspruchen gewaltige Portionen für sich, während die Lachse durch Überfischung und industrielle Vergiftung immer stärker dezimiert werden.
    Residents sind Familientiere. Pods oder Subpods nennt man die Verbände, in denen anspruchsvolle soziale Regeln herrschen. Zwischen fünf und 50 Tiere leben dort im Matriarchat und unterwerfen sich dem jeweils ranghöchsten Weibchen. Vier Generationen umfasst ein größerer Pod. Selbst Forscher, die in der Verhaltensbewertung größtmögliche Objektivität walten lassen, können nicht umhin, das Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern als innig zu bezeichnen. Kommt die Matriarchin zu Tode, nimmt das zweithöchste Weibchen ihren Platz ein, verstößt aber nicht deren Junge, sondern pflegt sie liebevoll weiter, wie es sich für eine brave Patentante gehört. Mit aller Vorsicht gesagt: Orcas scheinen über etwas zu verfügen, das man im Tierreich sonst kaum findet — Verantwortungsgefühl. Nicht allein von Genen bestimmt, sondern als Resultat bewussten sozialen Empfindens. Auch die Männchen des Pods halten der Matriarchin die Treue, verlassen den Pod nur zur Paarung (denn Inzucht kommt bei Orcas nicht in Frage) und finden sich bald darauf wieder an ihrer Seite ein.
    Mitunter feiern Orcas eine Grande Fiesta, auf der mehrere Familien zusammenkommen. Wer Zeuge eines solchen Super-Pod-Day wird, wohnt einer kleinen Orgie bei, denn hier geht’s in Nachwuchsfragen ordentlich zur Sache. Und mehr als das. Super-Pod-Days gleichen einem großen Pow Wow, bei dem man zusammen tanzt und spielt, Rituale vollzieht und Nachrichten austauscht. Das Breaching, der Sprung aus dem Wasser samt eleganter Pirouette, wird mit gleicher Begeisterung vollführt wie Flossenschlagen und Spy-Hopping: Köpfchen aus dem Wasser, schauen, was läuft. Im Gegensatz zu den weit überschätzten Buckelwalgesängen und dem fröhlichen Gequietsche der Delphine scheinen Orcas über eine vergleichsweise hoch entwickelte Kommunikation zu verfügen, jede Menge Klick- und Pfeiflaute, rumpelnde, knarrende und rasselnde Lautabfolgen, Jaulen, Grunzen und Keckem.
    Ist das Sprache?
    Die Wissenschaft ist gespalten, tendiert jedoch eher zur Verneinung. Es sei jedenfalls keine Sprache, wie Menschen sie benutzen, vielmehr dienten die Laute der Partnersuche, der Zusammenarbeit bei der Jagd und der Orientierung. Stimmt, Menschen setzen Sprache differenzierter ein, etwa: »Was machst’n heute Abend?« oder »Geh schon mal Wurst kaufen, ich stell mich an die Fischtheke« oder »Wo geht’s denn bitte schön nach Pankow?«.
    Auch so genannte discrete calls stoßen Orcas aus, Rufe, die dem sozialen Zusammenspiel dienen und sich von Pod zu Pod unterscheiden. Man spricht von Dialekten. Sakrament! Gibt’s etwa oberbayerische Orcas und solche, die sächseln? Gewissermaßen ja. Doch nicht nur Orcas wienern, schwäbeln und babbeln, auch bei manchen Vögeln und Affen differiert das Spektrum interfamiliär zwischen »Mei, hoab i an Durscht!« und »Hadder jet zu drinke?«.
    Etwa doch Sprache? Oder nur tierisches Repertoire?
    Reizvoll in diesem Zusammenhang ist ein kleines Gedankenexperiment. Dass nämlich Außerirdische, die anders aussehen als wir, in vielem anders denken und sich anders verständigen, den Versuch unternehmen, menschliche Laute auf höhere Sprachtauglichkeit zu untersuchen. Die Skeptiker würden schließlich die Oberhand gewinnen und ihren Studenten zum Beweis ein paar Originalaufnahmen vorspielen.
    Als Erstes bekäme man einen Angetrunkenen zu hören, der eine Dame mit den Worten beglückt: »Sie ham aber Supermöpse.« Dies, so der außerirdische Dozent, sei keine kreativ verwendete Sprache, sondern Teil des natürlichen Repertoires zur Partnersuche. Im Folgenden kommt ein Herr hinzu, gibt dem Betrunkenen ein paar hinter die Löffel und schreit: »Lass meine Frau in Ruhe, oder ich hau dir auf die Fresse!« Solche Laute, weiß der Professor, leiten rituell Rivalitätskämpfe zwischen paarungswilligen Männchen ein. Jedoch trollt sich der Betrunkene, bevor es hart auf hart kommt, und der Herr sagt zu der Dame: »Dem hab ich’s aber gegeben,

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