Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Vorliebe Betrunkener für Straßengräben offenbart. Vielmehr bevorzugt der Betrunkene weder die rechte noch die linke Seite, sondern will ins Bett. Rechts ist aber die Häuserwand, also kann er nur nach links torkeln und landet, da ihn dort keine Wand stoppt, regelmäßig im Graben. Ähnlich verhält es sich mit natürlichen Wänden oder Rändern. Ein stoffwechselndes Lebewesen kann das Format einer Zelle nicht unterschreiten. Angenommen, das Leben auf der Erde würde durch eine Katastrophe ausgelöscht, und nur die Einzeller überlebten, ginge die Entwicklung irgendwann von vorne los. Wieder entstünden größere und komplexere Wesen, weil Größe und Komplexität die einzige Richtung sind, in die Miss Evolution gehen kann. Kleiner kann sie nicht werden, dann da ist die Hauswand, die Begrenzung durch die Mindestgröße eines Organismus. Dennoch sind wir geneigt zu sagen, dass die Evolution einen Hang zur Größe hat.
    Würde Größe tatsächlich einen Vorteil mit sich bringen, hätte der Brachiosaurus fortschrittlicher sein müssen als ein Raptor, was er nicht war. Erinnern Sie sich der meterlangen Tausendfüßler und Riesenlibellen im Karbon? Der erhöhte Sauerstoffgehalt der Atmosphäre förderte den Gigantismus. Ein Trend, der über Jahrmillionen anhielt. Doch mit dem Rückgang des Sauerstoffs wurden auch die Lebewesen wieder kleiner.
    Ganz nebenbei erklärt das Prinzip vom Rand, warum die Deutschen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg so erfolgreich waren. Ganz einfach: Wer alles verloren hat, kann nicht noch mehr verlieren. Länder, die steigendes Wachstum verzeichnen, sind darum gut beraten, Prognosen zu misstrauen, wonach es endlos so weitergehen wird. Der 11. September liefert ein erschreckend gutes Beispiel dafür, wie selbst lokal begrenzte Ereignisse die Randbedingungen für einen ganzen Planeten verändern und Staaten in die Krise stürzen können.
    Es gibt also keinen Trend zur Ausbildung von Intelligenz, Größe und Komplexität, ebenso wenig wie der Landgang der Amphibien im evolutionären Sinn ein Fortschritt war, sondern lediglich eine Variante: Im Wasser is’ schön. An Land is’ auch schön. Was uns zur dritten Bemerkung führt hinsichtlich der Frage, warum intelligentes Leben nicht in den Ozeanen entstanden ist:
    Wer sagt, dass es nicht doch entstanden ist?
    Schon die Wale stellen uns vor unlösbare Fragen: Wie misst und definiert man Intelligenz in einer Welt der fließenden Übergänge? Auf alle Fälle ist sie nicht an das spezifische Werteverständnis einer Spezies gekoppelt, sondern kann von solcher Fremdartigkeit sein, dass wir sie als solche nicht erkennen. Als ich den Schwarm schrieb, reizte mich die Vorstellung, eine solch exotische Form von Intelligenz könne sich lange vor dem Menschen dort entwickelt haben. Von Einzellern würde man höhere Intelligenz am allerwenigsten erwarten. Gerade deshalb sind es im Buch keine Kiemenmenschen oder Riesenkraken, sondern Mikroben, die uns zum Blick über den Tellerrand unserer Selbstwahrnehmung zwingen.
    Ob es die Yrr aus dem Schwarm gibt?
    Na, selbstverständlich gibt es sie! Allerdings nur in meinem Kopf. Mir ist jedenfalls nichts anderes bekannt. Dennoch halte ich Schwarmintelligenzen auf anderen Planeten für durchaus denkbar — auch Schwärme und Schwarmwesen, die ihrer selbst bewusst sind. Ameisen und Termiten sind das nicht. Gemeinhin gelten sie als hochintelligent, jedoch auf unbewusster Stufe. Nicht die Tiere selbst, sondern das System ist clever, eine anspruchsvolle Matrix für krabbelnde Sozialstaatler, die aufgrund biochemischer Grenzen niemals wirkliche Intelligenz erlangen können. Doch warum sollen sich Kleinstlebewesen unter anderen Voraussetzungen nicht so organisieren, dass ein selbstbewusstes Superhirn entsteht, dessen Talentgrenzen nach oben offen liegen?
    Man kann darüber spekulieren. Oder einfach glauben, was man glauben möchte. Hier ein paar der beliebtesten Aussprüche zum Thema: »Man muss nicht alles verstehen.« — »Nicht alles lässt sich erklären.« — »Ich spüre, dass diese Tiere Liebe empfinden.« — »Doch, Ameisen haben Gefühle.« — »Wissenschaft ist kalt, sie kann die Welt nicht erklären.« — »Als mich der Delphin ansah, machte ich eine mystische Erfahrung.« — Und so weiter, und so fort. Mit Verlaub, aber das ist Bulbhit. Kehren wir noch einmal zu den Delphinen zurück. Kluge Kerlchen, ist man geneigt zu sagen, wenn sie da durch den Reifen springen. Aber sind sie deswegen intelligent?

Weitere Kostenlose Bücher