Nachrichten aus einem unbekannten Universum
was? Mann, knurrt mir der Magen. Herr Ober, zwei Bier und die Speisekarte!«
Gleich zwei genetisch prädisponierte Äußerungen: Imponiergehabe und Nahrungssuche. Der vermeintliche soziale Kontakt zwischen Gast und Ober muss als symbiotische Zweckgemeinschaft gesehen werden: der Ober versorgt den Herrn und die Dame mit Essen, der Herr vertilgt seine Portion unter Gegrunze und scheidet dabei Geld aus, mit dem der Ober nach Dienstschluss ins Nachtlokal geht. Zuvor ruft er zwei netten älteren Herren am Tresen zu:
»Wir schließen gleich.« Ein Warnruf, möglicherweise aber auch bloße Revierverteidigung. Die Senioren nicken und führen ihr Gespräch über Kants Kategorischen Imperativ auf dem Nachhauseweg fort, wobei sie auch fleißig Hegel und Heidegger zitieren. Diesen Austausch komplexer Lautmelodien nutzen die Befürworter der Sprachthese, um einen Vorstoß zu wagen: Eindeutig würden hier Informationen aneinander weitergegeben, die keinem artspezifischen Verhalten zugrunde lägen. Die Klanggebilde differierten stark, auch habe man ähnliche Lautkombinationen noch nicht gehört. Nur bedingt richtig, kontern die Skeptiker. Menschen sind offenbar in der Lage, ihr Klangspektrum zu variieren. Doch unterm Strich brächten sie die immer gleichen Laute einfach nur in immer neue Konstellationen. Wahrscheinlich spiegele die angebliche Unterhaltung das Bedürfnis nach Geselligkeit wider. Menschen seien halt verspielt.
Nun ja. Die Forschung schreitet voran, oft sprachlos.
Die vielleicht bemerkenswerteste soziale Errungenschaft der Resident Orcas ist ihr Verzicht auf Gewalt untereinander. Es gibt keine Prügeleien zwischen Männchen, keinen Kannibalismus, kein Gerangel um Hoheitsgebiete, keinen Mundraub. Residents teilen alles und geben schwächeren Tieren von ihrer Beute ab. Wo immer sie Möglichkeiten sehen, unterstützen Mitglieder einer Familie andere Orcas, übrigens auch Pod-übergreifend. Würden Orcas zum Super- Pod-Day in Bussen anreisen, stünde glatt zu erwarten, dass Jungtiere alten Damen ihren Platz anböten und ihnen über die Meerenge hülfen. Kaum, dass es einen hält, alle Orcas in die Arme zu schließen, wo sie doch offenbar mit Flossen wiedergeborene Indianer sind, vom Edelmute Winnetous durchdrungen, doch Vorsicht! Wo’s gerade herzerwärmend wird, wollen wir nicht vergessen, dass Transients und Offshore-Orcas von ganz anderem Kaliber sind. Auch von ihnen ist kein Angriff auf Menschen überliefert, allerdings Jagdmethoden, dass einem die Haare zu Berge stehen.
So hat die BBC spektakulär dokumentiert, wie drei Transient Orcas ein Grauwaljunges von seiner Mutter trennen. Stundenlang hetzen sie die Kleinfamilie, bis Mutter und Junges entkräftet sind, dann fallen sie über das Kalb her und zerfetzen seinen Unterkiefer. Nur die Zunge fressen sie, der Kadaver ist für die Destruenten der Tiefe. So sind sie eben, die Transients. Etwaige Graduierungen von Intelligenz sind aus den rüden Gewohnheiten nicht ersichtlich. Das eine schließt das andere nicht aus. Sollten die Außerirdischen ihren Bericht über die Menschheit abschließen, ist zu hoffen, dass sie vorher nicht allzu genau in türkische oder nordkoreanische Gefängnisse geschaut und um Guantanamo tunlichst einen großen Bogen gemacht haben.
Bemerkenswert ist, dass Orcas kreative Strategien entwickeln, die ihrem Verhalten nicht genetisch vorgegeben sind, und diese an ihre Jungen weitervermitteln. Etwa, wenn kleine antarktische Gruppen gemeinsam Wellen aufschaukeln, um Robben von Eisschollen zu spülen. Unbestritten liegt hier ein Verständnis für Ursache-WirkungPrinzipien zugrunde. Auch darum vermuten seriöse Cetologen, dass Orcas die Schwelle vom bloßen instinktgesteuerten Tierverhalten hin zum bewussten Planen überschritten haben. John Ford, Direktor des Vancouver Aquarium Marine Science Centre und äußerst zurückhaltend, wenn es um Fragen der Intelligenz geht, sieht bei manchen der Wale so etwas wie kulturellen Reichtum: »Lernen und traditionelle Verhaltensweisen bestimmen das Leben der Tiere auffälliger als die genetische Programmierung.« Hai Whitehead von der Dalhousie University in Halifax, Nova Scotia, pflichtet ihm bei: »Mein Eindruck ist, es gibt eine begründete Chance dafür, dass ein wesentlicher Bestandteil des Walverhaltens Kultur ist — Verhalten, das sie von anderen Tieren gelernt haben.«
Inwieweit man Orcas mit Frühmenschen vergleichen kann, bleibt umstritten. In Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass sie sich
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