Nachrichten aus einem unbekannten Universum
gesehen zu haben.
Hartnäckig überzeugt von der Existenz gewaltiger Meeresschlangen war auch die Mannschaft der britischen Daedalus, die sich 1848 am Kap der Guten Hoffnung ein Wettrennen mit einem 18 Meter langen Ungeheuer lieferte. Nur vier Jahre später schien der Beweis zum Greifen nah, als zwei Walfänger ein Ding von gewaltigen Ausmaßen attackierten, das nach heftigem Kampf sein Leben ließ und sich als 45 Meter lange Schlange entpuppte. Zu schwer, um sie als Ganzes in den Hafen zu schleppen, schnitt man ihr den Kopf ab — und ausgerechnet das Schiff, in dessen Laderaum der Schädel transportiert wurde, sank auf der Heimfahrt. Der Fluch des Ungeheuers: Wehe all denen, die er trifft!
Man sollte meinen, die Sichtungen hätten mit den Jahren abgenommen, doch das Gegenteil ist der Fall. In einer an Träumen und Idealen verarmten Zeit scheint das Bedürfnis nach Meeresungeheuern und anderen Fabelwesen ungehemmt zu wachsen. Das weitgehend entzauberte 20. Jahrhundert bezog seine letzten Mythen aus dem Meer. Was man da nicht alles erblickte! Eine zehn Meter lange Schlange auf einem Eisblock, Atlantischer Ozean, 1906. Ein über sieben Meter langes Ungetüm mit Giraffenschädel, Chinesisches Meer, 1937. Ein 25 Meter langer Schlangenschatten dicht unter Wasser, 1964, australische Hook Inseln. Eine 30 Meter lange Riesenschlange, die an Land kriecht und sich dekorativ in Pose wirft, 1983, Kalifornien. Fast noch häufiger erblickt der zivilisierte Mensch schuppiges Gekreuch in Flüssen und Seen. Wer im Lago Maggiore baden geht, muss damit rechnen, von einem pferdeschädeligen Untier in die Waden gebissen zu werden. Im schwedischen See Storsjön lebt Storsie, der Beschreibung nach ein Cousin von Nessie, und Norwegen verweist auf Mjosa und Seljordsvatnet, zwei dunkle Seen mitsamt den darin lebenden Ungeheuern.
Der Kryptozoologe Bernard Heuvelmans hat sich die Aufgabe gestellt, alle Sichtungen in einem Verzeichnis zu ordnen. Es soll die tatsächliche Vielfalt der Seeschlangen belegen und Missverständnisse ausräumen. In Heuvelmans’ Katalog finden sich Langhälse, die ausschließlich im Wasser leben und beim Schwimmen weltrekordverdächtige Geschwindigkeiten an den Tag legen, Meerpferde und Vielhöcker mit luftgefüllten Körpertaschen, Vielflosser und Superotter, Superaale und Meeressaurier. Heuvelmans ist alles andere als durchgeknallt. Nicht zu Unrecht verweist er auf angeblich ausgestorbene Spezies wie den Quastenflosser oder den Nautilus, die sich ungebrochener Vitalität erfreuen. Totgesagte leben länger, also sucht der Zoologe verstärkt nach Ahnen, deren Existenz belegt ist.
Seine Theorie ist folgende: Wenn eine Spezies vom Aussterben bedroht ist und in kleinen Beständen überleben will, bleibt ihr nur, sich unter Wasser zu begeben. Auf diese Weise könnten die Plesiosaurier nicht nur überdauert, sondern im Verlauf späterer Jahrmillionen sogar Nebenlinien hervorgebracht haben, was die Unterschiede in den Beschreibungen erklären würde. Der berühmteste Plesiosaurus der Gegenwart ist zweifellos das Ungeheuer von Loch Ness. Jedenfalls passt die überwältigende Mehrheit der Augenzeugenberichte auf einen Plio- oder Plesiosaurus, möglicherweise einen Elasmosaurus. Indes, obwohl die Schotten mit Berichten nicht geizen, gibt es bis heute keinerlei wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine isolierte Population von Meeressauriern in einem See hätte überleben können. Heuvelmans und andere Kryptiker halten dem entgegen, das Gewässer verfüge über einen Zugang zum Meer, doch selbst dann wäre ein mopsfideler Plesiosaurier im Loch Ness schwer vorstellbar.
Auch darum reißt die Diskussion nicht ab, weil sie im Grunde höchst romantischer Natur ist. Was wäre ein Märchen wie La Belle et la Bete ohne Bete? Nichts bliebe als eine gelangweilte Schöne, und Jean Marais hätte die Rolle seines Lebens verpasst. Die köstliche Donald-Duck-Geschichte Der Schlangenbeschwörer hätte nie geschrieben werden können ohne Seeschlange. Eine solche lockt der findige Enterich, nachdem er sich mittels einer Flöte in der Abrichtung von Lurchen geübt hat, versehentlich in die Küstengewässer Entenhausens.
Könnte also nicht doch eventuell und unter Berücksichtigung gewisser Umstände möglicherweise irgendwo und irgendwie vielleicht mit etwas Glück .
Augenblick. Wir prüfen das.
Dabei stoßen wir tatsächlich auf Seeschlangen. Einige von ihnen bringen es sogar auf knapp drei Meter Länge. Sie gehören zu den so genannten
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