Nachrichten aus einem unbekannten Universum
angeblich tot geborgenen Seejungfrau durch die Vereinigten Staaten, die er aus dem Hinterteil eines Lachses und einem Affenkörper zusammengeflickt hatte, doch verfehlte er damit den mythischen Kern um Längen. Den legte Jules Verne in 20.000 Meilen unter dem Meer frei, als seine Helden vom Ausguck der Nautilus einen länglichen, schwarzen Körper erblicken, der im Roten Meer vor Dschidda paddelt:
»Seh’ ich recht?«, rief Ned Land plötzlich. »Es schwimmt, es taucht wie ein Wal. Aber das ist kein Wal, zum Teufel. Diese Flossen sehen aus wie verstümmelte Gliedmaßen . Es liegt da auf dem Rücken . und streckt seine Brüste in die Luft .«
»Dann ist’s eine Sirene!«, rief Conseil. »Eine echte Sirene!«
»Ein Dugong!«, sagte ich.
»Gattung Seekühe, Familie Säugetiere, Ordnung Wirbeltiere, Klasse Chordatiere«, sagte Conseil.
Richtig. Jules Verne beschreibt eine Meerjungfrau beziehungsweise das Wesen, das den Mythos nährte. Um in ausgewachsenen Dugongs Fischfrauen zu erblicken, muss man allerdings vor Geilheit platzen. Angeblich sollen Seefahrer sich an den massigen Säugern, die eher paddelfüßigen Möpsen gleichen, sogar vergangen haben. Dugongs sind harmlose Geschöpfe, die grunzende Laute ausstoßen und aus der Entfernung mit einiger Phantasie wie auf- und abtauchende Menschen erscheinen. Von verführerischen Rundungen jedoch keine Spur. Allerdings — und hier wird’s allzu männlich! — tragen Dugongs die Brüste auf der Vorderseite, verfügen über Ellbogengelenke, und wenn sie sich aufregen, fließen Tränen aus ihren Augen. Das reicht Hein Blöd schon, um sich nicht mehr einsam zu fühlen, wenn nachts die Brecher an die Bordwand klatschen.
Bernard Heuvelmans bleibt zuversichtlich, auf weitere Indizien für die Präsenz mysteriöser Wesen zu stoßen. Das stärkste Argument hat er auf seiner Seite, und es sind nicht Dugongs oder Riemenfi- sche, sondern die legendären Riesenkraken. Auch so einen beschrieb Jules Verne mit wissenschaftlicher Akkuratesse und stützte sich dabei auf etliche, teils antike Überlieferungen. Was sonst könnte ein Ungeheuer sein, das mit dem Hinterleib in einem Felsen wohnt und aus acht Schlangenmäulern nach Seeleuten schnappt, als ein gigantischer Polyp? 700 Jahre vor Christus beschrieb Homer Scylla und Charybdis, zwei Ungeheuer, deren eines verdächtig an einen Riesenkraken gemahnt und den Mannen des Odysseus fürchterlich zusetzte. Noch heute essen die Griechen aus Rache bergeweise Calamari. Plinius der Ältere beschrieb einen Kopffüßer mit zehn Meter langen Armen, und auch Olaus Magnus, der Kartenmaler, will einen Schrecken erregenden Fisch gesehen haben, mit grausligen Glotzaugen, dessen Leib in beweglichen Wurzeln endete. Falls Magnus nicht einfach die Erzählungen phantasiebegabter Matrosen aufgenommen hat, wird ihm wohl ein Riesenkalmar begegnet sein.
Die eigentliche Inspiration für seinen dramatischen Kampf um die Nautilus bezog Verne allerdings aus dem Bericht des Kapitän Boyer, der 1861 eine erstaunliche Geschichte zum Besten gab. Man habe sich an Bord der Acleton vor Teneriffa befunden, als der Ausguck ein treibendes Wesen von immenser Größe meldete. Weder Harpunen noch Gewehrschüsse konnten dem Monstrum etwas anhaben, das den Schilderungen zufolge ein Kalmar gewesen sein muss. Als man schließlich versuchte, das Ding vermittels einer Schlinge an Bord zu hieven, riss es entzwei, und der größte Teil verschwand in der Tiefe.
1997 meldeten Fischer das Auftauchen drei Meter langer Riesenflugkalmare vor Oregon. Fachleute bestätigten, dass die Räuber — sonst eher in mittleren Breiten zu Hause — bis in den Norden vorgedrungen seien und entgegen ihrer Natur im flachen Wasser jagten. Riesenflugkalmare, auch Humboldtkalmare genannt, sind nicht identisch mit dem legendären Architeuthis, über dessen Körpermaße immer noch Uneinigkeit herrscht, der unter geeigneten Bedingungen jedoch 20 Meter lang und fünf Zentner schwer werden dürfte (im nächsten Kapitel lernen wir immerhin ein kleineres Exemplar kennen).
Dafür gelten die Humboldtkalmare als extrem angriffslustig. Ihr Oberkörper mutet an wie die hintere Hälfte eines U-Boots, röhrenförmig mit zwei flügelartigen Flossen. Aus dem Körpermantel schauen riesige, starre Augen heraus und zehn Arme, von denen zwei peitschenartig verlängert und mit Greiflappen versehen sind.
Auch vor Chile waren die rötlich weißen Kalmare zu Hunderten aufgetaucht und hatten sich über die dortigen
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