Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Meisner in so eine Kiste käme und unterwegs im Sturm verloren ginge.
Seit 1997 ist die Flotte der großen Containerfrachter von 56 auf weit über 200 Schiffe angewachsen. Kaum eine Branche konnte um die Jahrtausendwende derartige Zuwachsraten verbuchen. Weil Riesenschiffe nicht so einfach rückwärts einparken können wie Smarts, sondern geeignet sind, ganze Docks in Grund und Boden zu rammen, wird man Wirtschaftsnationen künftig an der Leistungsfähigkeit ihrer Häfen messen. Auch die Anbindung muss stimmen. Container eignen sich in hervorragender Weise, für den Weitertransport auf Züge und Lkw verladen zu werden, was jedoch ein entsprechendes Straßen- und Schienennetz erfordert. Wer diesbezüglich investiert hat wie Hamburg und Rotterdam, wandelt Größe in Wirtschaftlichkeit wie Wasser in Wein.
Vorbei auch die Zeiten der Lämmerlandverschickung, da man zehn Mal hin- und herfuhr, voll hin, leer zurück. Heute fährt man einmal und kehrt beladen mit anderen Gütern zurück. Nicht allein die Größe macht’s. Auch die Logistik ist im Wandel begriffen. Außer blökenden Grasfressern auf der Weide und stummen im Frachtraum wird eine dritte Sorte gehandelt: virtuelle Schafe.
www.mah.com ?
So in etwa. Es ist gar nicht so lange her, da waren Schafe Schafe und Schiffe Schiffe. Heute sind Schiffe und Schafe vor allem Daten. Und die finden einander im Internet. Das Hamburger Unternehmen GloMaP etwa verlegt den öligen Händedruck im Hafenkontor ins Netz, wo Anbieter und Abnehmer im virtuellen Raum verhandeln. Aufträge werden elektronisch ausgeschrieben, Szenarien zur Kostenentlastung online durchgespielt, Gewinnanalysen per Mausklick abgerufen und die richtige Reederei via Glasfaser gefunden. GloMaP agiert stellvertretend für eine ganze Reihe innovativer Dienstleister, die den guten alten Frachter ins Zeitalter der Glasfasergeschwindigkeit steuern. Halb leere Laderäume sollen der Vergangenheit angehören. Wer noch ein Plätzchen frei hat oder seinerseits eines sucht, etwa um Omas Klavier oder 500 Kisten Chateau Margaux zu verschippern — auf der GloMaP-Plattform trifft man sich. Die Auslastung sämtlicher Kapazitäten drückt den Transportpreis ein weiteres Mal. Allein durch den Einsatz von ECommerce verheißt GloMaP der Frachtbranche Kostensenkungen von bis zu 20 Prozent. Auch Paddy O’Donnell flaniert im Netz, treibt seinen Datenbestand an Schafen in elektronische Laderäume, feilscht ein bisschen und kommt zu moderaten Konditionen mit an Bord.
Sie, werter Verbraucher hochseetauglicher Lammkoteletts, werden darum nicht zwingend weniger für Ihre Portion bezahlen, auch wenn alle Wirtschaftswunderwelt versichert, die eingesparten Kosten an die konsumierende Bevölkerung weitergeben zu wollen. Wer mehr verdienen wird, sind vor allem Produzenten, Reedereien und Großabnehmer. Und das ist ganz okay in Zeiten, da der Abbau von Arbeitsplätzen zum Nachrichtenritual gehört wie der tägliche Selbstmordanschlag. Am Internet, aller Skepsis zum Trotz, könnte die Wirtschaft gesunden — sofern dabei wirklich neue Jobs rausspringen.
Währenddessen schließen die großen Reedereien virtuelle Allianzen. Als Paddy O’Donnell seine Lämmer noch zu Liam Flynn nach Dublin fuhr, gingen die beiden nach erfolgter Transaktion bei Davy Byrne’s einen heben. »Der persönliche Kontakt«, sagt Paddy, »geht natürlich schon verloren im World Wide Web. Dafür hat sich der Kontakt zu meiner Bank verbessert. Trotzdem, irgendwie schade. Ach, Slainte übrigens!«
Und Paddy hebt das Glas, nicht wirklich unzufrieden.
Von solch nostalgischer Ergriffenheit ist Bernd Wrede seemeilenweit entfernt. Der Hapag-Lloyd-Chef schätzt, dass sein Unternehmen bis Ende des Jahrzehnts 50 Prozent aller Geschäfte im Internet abwickeln wird. Die Nähe zum Kunden sieht er nicht gefährdet, im Gegenteil: »Datenverbindungen mit Kunden in aller Welt gehören bei Hapag-Lloyd seit langem zum Standard und werden kontinuierlich ausgebaut. Das Internet als neues Medium bietet vor allem die Möglichkeit, auch kleineren Kunden einen entsprechenden Service zu bieten.«
Da ist was dran. Tatsächlich kommt die Technik, mit der Konzerne wirtschaftlich sichere Gewässer ansteuern, auch Omas Klavier und den 500 Kisten Wein zugute. Dass Branchengiganten wie Hapag-Lloyd — Mitglied der Grand Alliance, des größten Reederverbunds der Welt — allerdings jemals mit Startup-Akrobaten wie GloMaP unter einer Flagge segeln werden, darf bezweifelt werden. Eher wird man
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