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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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nicht ein, sondern erweist sich als Heimstadt des internationalen Terrorismus, gesteuert von einem viktorianischen Osama bin Laden, der vorzugsweise Schiffe versenkt. Robur der Eroberer, Professor Schulze in seiner stählernen Stadt, sie alle erleben im Triumph ihres Genius zugleich ihr Scheitern. In unverhohlener Bewunderung für das Machbare äußert Verne umso ernstere Zweifel an der moralischen Integrität der Macher. Ebenso, wie die fliegenden und schwimmenden Wunderwerke technisch ihrer Zeit voraus sind, hinkt der gesunde Menschenverstand hinterher. Am Ende liegt der Fortschritt in Trümmern, ist das brav Bürgerliche nochmal davongekommen. Mittelmäßigkeit als wärmendes Feuer im Kamin. Langweilig, aber verbindend. Stahl, der Baustoff der Titanen, ist hingegen eisig, gerade gut, um Kanonen daraus zu gießen.
    Ausgerechnet ein Schriftsteller des späten 19. Jahrhunderts hat damit das Wesentliche über die Besiedelung der Meerestiefen gesagt. Es macht Spaß, sich ein New York der Tiefsee auszudenken. Doch wahrscheinlich keinen, dort zu wohnen.
    Trotzdem ist die Vision nicht totzukriegen. 1975 war so ein Jahr, in dem Hans Hass verlauten ließ, er habe die Zukunft gesehen. Die lag südlich von Tokio unter Wasser, erbaut von dem japanischen Architekten Kiyonori Kikutake für einen tauchversessenen Geschäftsmann. Nicht nur Hass bekam angesichts des Resultats feuchte Augen. Zwölf Meter unter dem Meeresspiegel lag eine Oase, ausschließlich im Taucheranzug zu erreichen, mit schickem Entree, Designermöbeln, Cocktailbar, TV und Telefon. Der stolze Eigentümer gab ein Fest für Hass. Ein komplettes Menü, Weine, Abendkleider und Anzüge wurden in Containern frei Haus geliefert, 16 Gäste tauchten ab und beim Gastgeber wieder auf, tauschten Neopren gegen Krawatte und Dekollete, aßen, tranken, tanzten, schliefen und träumten auf dem Meeresboden. Wohnen im Meer entfaltete seinen ganzen Reiz: Fische zogen am Wohnzimmerfenster vorbei, und dass Bier unter den veränderten Druckverhältnissen nicht schäumen wollte, nahm man billigend in Kauf. Am folgenden Morgen kam die Putzfrau, zog Flossen und Taucherbrille aus, saugte und erledigte den Abwasch. Alles ließ darauf schließen, dass ein Leben unter Wasser von gleicher Normalität geprägt wäre wie an Land, auch wenn auf der Terrasse Korallen wüchsen und der Briefträger statt vom Hund vom Haushai gebissen würde.
    Kiyonori Kikutake ist Spezialist für urbane Utopien. Der international gefeierte und zugleich kontrovers diskutierte Architekt gehört zu einer Gruppe von Architekten, die sich Metabolisten nennen und ihre Architektur am Lebenszyklus von Geburt und Wachstum ausrichten. Kikutake schmiedet Pläne für schwimmende Städte, die bis zu zwei Millionen Einwohner fassen sollen. Im Jahr, als Hass seine gespenstische kleine Party feierte, setzte er anlässlich der Meeresweltausstellung vor Okinawa einen Prototyp aufs Wasser. Damals galt Aquapolis als Lehrstück mariner Autonomie. Heute ist die Insel ein wenig spektakulärer Haufen Schrott, gegen den jede Offshore-Plattform wie das Hilton anmutet. Seitdem hat der Vater der Ocean Citys, wie Kikutake ehrfürchtig genannt wird, immer neue Dimensionen ausgelotet. Nie realisierte Entwürfe zeigen Metropolen, die auf mehrere hundert Meter hohen Betonstelzen ruhen, gigantische Plattformen 20 Meter über dem Meeresspiegel. Ein anderes Konzept sieht Riesenpontons vor, verankert an Tiefseegebirgen. Kikutake gibt sich keineswegs dem bloßen Tiefenrausch hin. Sein Tokioter EDO-Museum ist das Werk eines Pragmatikers: Am Ufer gelegen, schwimmt es bei Hochwasser wie eine Arche.
    Als typisches Kind eines beengten Inselstaates träumt der Visionär zudem von LinearCity, einer 1.000 Kilometer langen Megametropole zwischen Tokio und der Insel Kiushu im japanischen Süden, zusammengefügt aus schwimmenden Wohnelementen und Flughäfen, die über Stahltrossen mit natürlichen Inseln verbunden sind. Da alle Stadtteile hintereinander liegen wie Perlen auf einer Schnur, soll eine düsenjetschnelle Magnetbahn Menschen und Waren von einem Ende zum anderen bringen. Auf den ersten Blick erscheint LinearCity weit utopischer als ein idyllisches Kleinstädtchen in 20 Meter Meerestiefe, ist aber realistischer. Denn dem Leben unter Wasser, wie es Utopisten durchs Hirn schwappt, steht eine ernst zu nehmende Alternative gegenüber.
    Das Leben auf dem Wasser.
    »1958 war ich der Erste, der eine Zeichnung von einer schwimmenden Konstruktion vorstellte«,

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