Nachrichten aus einem unbekannten Universum
erinnert sich Kikutake. »Mir war aufgefallen, dass in Japan im Küstenbereich viele verschiedene Fabriken und Industriebetriebe angesiedelt wurden, was den Landschaftseindruck zerstörte und auch umweltschädigende Auswirkungen hatte. Zu dieser Zeit dachte ich, es sei eine gute Idee, die Fabriken und die Maschinen auf das Meer zu verlagern, sodass die Menschen an Land eine bessere Umwelt hätten. Das war mein ursprünglicher Gedanke. Als ich mich jedoch mehr mit der Sache auseinander setzte, begann sich mein Denken zu verändern. Ich bemerkte, wie schön und perfekt das Ambiente des Meeres ist. Daraufhin dachte ich, es wäre besser, die Menschen leben auf dem Meer und die Fabriken und Industrieanlagen bleiben an Land. Dies ist also der Grund für meinen ersten Entwurf einer Stadt im Meer.«
Nicht nur Kikutake hat feuchte Träume. Sir Norman Foster träumt mit. Würde sein Millenium Tower je gebaut, könnte man die größte Metropole der Welt aus 840 Metern Höhe überblicken. Das 126 Meter breite Fundament des riesigen Spitzkegels soll in der Bucht von Tokio verankert werden, in 80 Meter Wassertiefe. Über das Stadium bloßer Theorie ist Foster längst hinaus. Sein Tower — im Entwurf mittlerweile mehrfach überarbeitet — könnte in die Praxis umgesetzt werden, eine himmelwärts strebende Stadt mit einer Nutzfläche von einer Million Quadratmeter für Wohnbereiche, Geschäftsviertel, Theater, Kinos und Lokale, unempfindlich gegen Erdbeben und Monsterstürme. Allerdings hat der 11. September die Begeisterung für Wolkenkratzer vorerst gedämpft. Mittlerweile, heißt es, interessiere sich China für das kühne Unterfangen. Foster genießt den Ruf, seine Projekte nicht nur zu planen, sondern auch umzusetzen. Er hat London um den schönsten Tannenzapfen der Welt bereichert, das 180 Meter hohe Swiss-Re-Gebäude, hat für den Hong Kong International Airport Chek Lap Kok eine künstliche Insel im Meer aufschütten lassen. Seit der Fertigstellung 1998 zählt Chek Lap Kok zu den wichtigsten Flughäfen Asiens. Foster hat bewiesen, dass die Meere unsere Küsten nicht nur wegfressen wie auf Sylt, sondern dass man ihnen auch Neuland abtrotzen kann.
Noch eindrucksvoller ist die Lage des Kansai Airport. Fünf Kilometer vor Osaka kippten die Erbauer jede Menge Schutt, Sand und Müll ins Meer, insgesamt das 75-Fache des Volumens der Pyramide von Gizeh, frei nach der Devise: Wo keine Insel ist, wird eben eine gebaut. Unzählige Pfähle wurden in den Meeresgrund getrieben, von einem Deich umgeben, um den Massen Halt zu geben. Riesige Pumpen entsorgten das restliche Wasser, dann planierte man die Fläche, errichtete Terminals, Parkhäuser und Bahnhof und schuf den meistfrequentierten Flughafen Japans und drittgrößten Airport der Welt.
Das Aufschütten künstlicher Inseln verspricht die Lösung etlicher Probleme. Beispiel Kansai Airport: An Land war schlicht kein Platz für einen Flughafen dieser Größe, außerdem drohten Massenklagen wegen Lärmbelästigung. Weit draußen bekommen allenfalls die Seevögel Ohrensausen. Ein zweiter Flughafen entsteht soeben in der Bucht von Osaka, während der erste — dem Vorbild einer wohl bekannten italienischen Lagunenstadt folgend — jährlich fünf Zentimeter absackt. Wasser hat eben keine Balken.
Doch, sagen die Erbauer, unseres schon. Wir haben Korrektursysteme integriert. Startbahnen und Gebäude bleiben immer auf dem gleichen Level. Selbst die verwinkelten unterirdischen Rohrsysteme haben wir flexibel konzipiert, also wo ist das Problem?
Das Meer ist das Problem, kontert Professor Dr. John Craven, Meeresexperte aus Honululu, der eine bedenkliche Tendenz sieht, die Dynamik mariner Umfelder zu unterschätzen: »Solange man Schutt und Füllmaterial auf dem Land benutzt, ist alles in Ordnung. Wenn man es aber auf dem Meer so macht, ist der Boden dem Wasser ausgesetzt. Und wenn das Neuland aus irgendwelchen Gründen, zum Beispiel infolge eines starken Erdbebens, erschüttert wird, verwandelt sich diese solide Erde plötzlich in Treibsand.«
Craven gehört zusammen mit Kikutake zu den Befürwortern schwimmender Konstruktionen. Gerne weist er auf die Folgen des katastrophalen Bebens von Kobe hin, dem sämtliche Landstrukturen wie Brücken, Eisenbahnlinien und Straßen zum Opfer fielen.
»Doch allen schwimmenden Strukturen und Schiffen hat das Erdbeben nichts ausgemacht.«
Zu ähnlichen Schlüssen gelangt ein weiterer Pionier des Inselbaus, Professor Ernst G. Frankel vom Massachusetts
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