Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Sternen tragen. Bis dahin tanzen wir Rücken an Rücken zu kultiger Musik und sehen am Küchenfenster das Abendessen vorbeischwimmen. Die Zukunft der Menschheit, das wusste man schon in den Sechzigern, liegt jedenfalls im Meer.
Bestechend die Eingangssequenz jeder Folge: Aus einem Meeresstrudel gewaltiger Ausdehnung hob sich der schimmernde Diskus wie die schaumgeborene Venus und brachte es ruckzuck auf Lichtgeschwindigkeit. Dabei hatte man sich was gedacht! Weniger bei der Lichtgeschwindigkeit. Aber was die Ausbreitung unserer Spezies über die Uferzonen hinaus betrifft, schwamm Raumpatrouille in den Szenarien der Zukunftsforscher obenauf. Zu den running gags der Prognostik gehört die Errichtung submariner Städte. Gründe für ein Leben auf dem Meeresgrund gäbe es reichlich. Nach einem Atomkrieg ist die Erdoberfläche verseucht. Die Zerstörung der Ozonschicht zwingt uns in geschützte Regionen. Mit der expandierenden Weltbevölkerung werden neue Lebensräume notwendig. Aliens treiben uns in den Untergrund, in diesem Fall zurück ins Meer. Lurchi, unser aller Urahn, macht seine Gene geltend. Schließlich fühlen sich auch Neugeborene unter Wasser ausgesprochen wohl. Neun Monate lang atmen sie Flüssigkeit, bis man sie an die frische Luft setzt und der Doktor ihnen den Hintern verdrischt, was allgemein wenig Begeisterung und jede Menge Geschrei auslöst.
Was also ist dran an der Zukunft im Meer?
Kommt drauf an, meinte Jules Verne, der 1895 seine satirische Utopie L’île à hélice veröffentlichte, auf Deutsch bekannt unter den Titeln Die Propellerinsel und Die Insel der Milliardäre. Darin gerät eine Truppe von Musikern, die eigentlich nach San Diego will, infolge einer Verkettung unglücklicher Umstände an einen seltsamen Ort. Die luxuriös anmutende Stadt, in der sie ein Nachtquartier finden, entpuppt sich als schwimmende Rieseninsel, angetrieben von gewaltigen, 10.000 PS starken Turbinen und zusammengebaut aus 270.000 verkoppelten Pontons, jeweils 17 Meter hoch, 10 Meter breit und 10 Meter lang. Standard Island, wie ihre Bewohner das Wunderwerk nennen, ist der Stahl gewordene Traum einer Clique ultrareicher US-Bürger, ein autarker Staat auf dem Meer mit einer Gesamtfläche von 27 Quadratkilometern, dessen Hauptstadt aus gutem Grund Milliard City heißt. Alles gibt es hier, komfortable Wohnhäuser und Kirchen, ausgedehnte Parks und Gärten, Theater, feine Restaurants und illustre Vergnügungen.
Obwohl ihr Aufenthalt an den Tatbestand der Entführung grenzt, willigen die Musiker ein, den gelangweilten Reichen während der nächsten zwölf Monate die Zeit zu vertreiben. In den folgenden Wochen steuert man bekannte und weniger bekannte Küsten an, ficht Rivalitäten unter den Milliardären Tankerton und Coverly aus, deren Clans um die Herrschaft über Standard Island buhlen, rettet schließlich eine Gruppe Schiffbrüchiger, was sich als Fehler erweist, denn diese entpuppen sich als Lumpengesindel und hetzen den Insulanern Kannibalen auf den Hals. Ein längeres Gemetzel fordert zahlreiche Opfer. Schlussendlich sind es jedoch die leidigen Revierkämpfe, in deren Verlauf Gemeinschaft wie Insel gleichermaßen auseinander brechen. Was die Naturgewalten nicht schafften, vollbringen Ignoranz und Überheblichkeit.
Verne war längst nicht so technikgläubig, wie es oftmals dargestellt wird. Viel ausgeprägter war sein Argwohn. Nicht von ungefähr erfüllt die Propellerinsel keinen anderen Zweck, als die Eitelkeiten einer frühen Anything-goes-Generation zu befriedigen, die in Kanonenkugeln zum Mond fliegt, per Ballon die Welt umrundet oder zum Mittelpunkt der Erde vorstößt, dabei indes mehr Zeit auf korrekte Kleidung und die Einhaltung idiotischer Wetten verwendet als auf die Frage, welchen Nutzen weniger begüterte Zeitgenossen aus ihren Errungenschaften ziehen könnten. Verne war ein Visionär, ohne jeden Zweifel. Doch porträtiert er meist größenwahnsinnige Misanthropen oder dekadente Spinner. Standard Island existiert einzig, um seine Bewohner zu den Schönwetterzonen dieser Welt zu bringen. Im Grunde lassen die Familien Tankerton und Coverly mit ihrem kleinkarierten Konfessionszwist nicht an Vertreter des Fortschritts denken, sondern wecken Assoziationen an rivalisierende Viehbarone.
Verne, der ein ausgeprägtes Faible für die Meerestiefen hatte, bedient sich ihrer als Parabel für menschliche Abgründe. Selbst die wunderbare Nautilus löst das Versprechen, neue Lebensräume zu eröffnen, letztlich
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