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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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seiner Erzeugerin zu:
    »Muss der Fisch jetzt sterben?«
    »Ja, das ist ja wohl ein Ding«, entsetzte sich Mama. »He, sagen Sie mal, junger Mann, haben sie überhaupt kein Schamgefühl? Hier liegt doch jede Menge allerbeste Ware. Da muss doch Ihretwegen nicht das Tier getötet werden!«
    »Der arme Fisch«, bibberte die Kleine und zog mitleidig eine Portion Rotz durch die Nebenhöhlen.
    Auch andere Leute schauten jetzt zu mir herüber.
    »Sie sind ja wohl ein Snob«, meinte ein älterer Herr und schüttelte den Kopf. »Ist das denn nötig?«
    »Aber ... nun ja ... ich wollte nur ...«, argumentierte ich.
    »Stimmt genau, ein Snob sind Sie!«, mischte sich Mama wieder ein. »Schon mal was von Überfischung gehört? Kaufen Sie doch einfach, was angeboten wird.«
    »Die Forelle wird aber angeboten, sie .«
    »Schlimm genug.« Der Blick der Großinquisition traf den Verkäufer. »Ein akzeptables Geschäftsgebaren ist das nicht. Bei der Gelegenheit, geben Sie mir noch 200 Gramm Thunfisch. Aber SushiQualität.«
    Was hätte ich sagen sollen? Dass ich es phantastisch finde, wenn Leute nur Stücke auf Eis kaufen, damit ihretwegen kein Tier sterben muss? Dass es absolut grandios ist, wie stark Verbraucherherzen für die Umwelt schlagen? Ich bin sicher, nur edelste Motive ließen Mutter und Tochter in mir ein Monster sehen. Das Pferd hatte es bestimmt gut, es durfte munter schnaubend über Sylter Sand galoppieren und dabei Würmer und Krebse im Dutzend platt trampeln. Es wurde gestriegelt, gekost und geherzt. Ganz sicher war Mama Mitglied im Tierschutzverein. Die Inquisition hatte ihr Urteil gesprochen. Ich brannte vor Scham und schlich, im Besitz einer frisch geschlachteten und ausgenommenen Lachsforelle, von dannen. Erst als die Forelle im Ofen war, fand ich zu innerer Festigkeit zurück, und wir verspeisten den Fisch mit Appetit.
    Man kann die Frage stellen, ob es ausgerechnet Lachsforelle sein muss? Warum nicht was Schlichtes, Preiswertes, in Massen Erhältliches, so wie beispielsweise . Kabeljau?
    Tja. Lachsforelle schmeckt nun mal gut. Vor allem aber, man bekommt sie noch. Genau genommen gibt es gar keine Lachsforellen, es sind Regenbogenforellen mit besonders rotem Fleisch und stammen sämtlich aus kontrollierten Süß- und Salzwasserzuchten. In den Achtzigern durch Gewässerverschmutzung gefährdet, haben die Bestände an Bach- und Seeforellen wieder stark zugenommen.
    Kabeljau hingegen, der klassische Arme-Leute-Fisch, von dem man immer glaubte, eher stürbe der Mensch aus als diese schwimmende Eiweißreserve, droht weitgehend aus den Meeren zu verschwinden. 2005 gab die europäische Kommission für Fischerei und Agrarpolitik bekannt, etliche Speisefischbestände seien zusammengebrochen und weite Teile der Ozeane verödet. Auch dem Kabeljau drohe der Exitus.
    Fest steht, dass der Fisch, den die Engländer vorzugsweise aus Zeitungspapier essen und der jahrhundertelang als Stockfisch Heerscharen von Matrosen und Soldaten sättigte, bald schon ein kleines Vermögen kosten wird. Immer häufiger findet man ihn auf den Karten der Feinschmeckerrestaurants. Er ist selten geworden, die Grundtugend jeder Delikatesse. Dabei galt er mal als Volksnahrungsmittel par excellence. Seinetwegen haben die Isländer zwischen 1950 und 1980 die drei so genannten Kabeljaukriege vom Zaun gebrochen, als sie ein ums andere Mal ihre Fangzone erweiterten — und zwar immer dann, wenn die Bestände überfischt waren. Jedes Mal kam es zu Gerangel mit britischen Trawlern, sogar Tote waren zu beklagen. UNO und NATO-Rat wurden eingeschaltet, doch jedes Mal setzte Island seinen Willen durch. Innerhalb weniger Jahrzehnte dehnte es die Fangzone von drei auf 200 Seemeilen aus. 1977 wurde die 200-Seemeilen-Zone für alle Staaten der Europäischen Union als verbindlich erklärt. Als Ausgleich für den verloren gegangenen Schutzraum der Fische führte man Fangquoten ein.
    Quoten? Klingt gut. Doch offenbar leidet auf hoher See das Erinnerungsvermögen. Nur so ist es zu erklären, dass der Kabeljau allmählich seltener zu finden ist als Wolpertinger. Dramatische Engpässe gibt es außerdem bei Seezungen, Seebrassen, Dornhaien, Thunfischen und beim Seeteufel. Der Kaisergranat vor der Biskaya ist hoffnungslos überfischt. So gut wie ausgerottet ist der Stör. Und das sind nur einige Beispiele. Knapp ein Drittel der weltweiten Fischgründe hat der Mensch in Niemandsland verwandelt. Das wiederum bringt ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht: Seehunde, Pinguine,

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