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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Riese ist ein Dunkleosteus. Dunkelheit spielte bei der Namensgebung übrigens keine Rolle, sondern verdankt sich dem amerikanischen Paläontologen Dr. David Dunkle, der die Schädelplatten ausbuddelte und »Dunkle’s bones« nannte — eine hübsche Doppeldeutigkeit, da ihn die eigenen Knochen nach der Graberei ordentlich schmerzten.
    Dunkleosteus gehört neben den Knorpelfischen der zweiten großen Fischgruppe des Devon an, den Panzerfischen. Begegnungen mit ihm verliefen durchweg unerfreulich, was selbst die größten Haie bestätigen könnten, würden sie aus dem Jenseits Kontakt mit uns aufnehmen. Nicht nur von ihnen ernährte sich der gepanzerte Gigant, auch die imposanten Kopffüßer fanden sein Interesse. So ein Nautiloide war nun wirklich alles andere als wehrlos, aber gegen einen zehn Meter langen Vielfraß mit der Beißkraft eines Baggers hilft es wenig, imposant zu sein. Die Knochenzähne des Jägers waren scharf wie geschliffene Beile, Kopf und Brust auf eine Weise geschützt, dass sich ein Gegenangriff praktisch ausschloss, der ungeschützte, muskulöse Schwanz bildete den Antrieb für die gefürchteten Überraschungsattacken. Ein flexibles Gelenk zwischen Schädel und Nacken erlaubte dem prähistorischen Robocop, die Kiefer so weit aufzureißen, dass er sich mit Kauen gar nicht lange aufzuhalten brauchte.
    Man fragt sich, was so einer im Museum tut, anstatt weiter die Weltmeere unsicher zu machen.
    Doch letzten Endes schwammen die Haie ihrem ärgsten Feind den Rang ab. So hoch entwickelt Dunkleosteus war — allgemein waren Fische im Devon die höchst entwickelten Lebewesen —, besiegelte seine einzigartige Ausstattung zugleich sein Schicksal. Im Blitzkrieg ungeschlagen, lag seine Stärke weniger in der Verfolgung. Ohne doppelt gegabelte Schwanzflosse, zudem schwer gepanzert, war er kein ausdauernder Schwimmer. Haie erwiesen sich als schneller und wendiger, entwickelten die intelligenteren Taktiken und fraßen dem schwerfälligen Riesen mit der Zeit die Beute weg. Zudem mischte sich eine dritte Gruppe in den fortwährenden Konkurrenzkampf ein. Im Devon entwickelten sich die Vorläufer der Knochenfische in alle erdenklichen Richtungen. Es gab Strahlenflosser, Lungenatmer und Quastenflosser, die den Übergang von Fischen zu Amphibien einleiteten. Ihre vier knochengestützten Brust- und Bauchflossen waren bestens geeignet, sich zu Beinen zu entwickeln. Ebenso wie die Panzerfische galten sie lange Zeit als ausgestorben, bis man 1938 vor Madagaskar auf Nachfahren stieß und der Quastenflosser seine Wiederentdeckung feiern konnte.
    Die devonischen Fische, groß und klein, spezialisierten sich. Einige bevölkerten Riffe, andere buddelten im Sediment nach Würmern und Mollusken, manche legten sich einen flotten Schwimmstil zu, wieder andere setzten auf Ausdauer. Das Devon ist, biblisch betrachtet, der fünfte Tag der Schöpfung, das Zeitalter der Fische. Hier wurde Basisarbeit geleistet für Hering in Tomatensauce, Sushi und geräucherte Makrele.
    Natürlich hätte Dunkleosteus die Leute von Havesta Mores gelehrt, aber zum Ende des Devon war seine Zeit gekommen und die der meisten Panzerfische. Denn die erreichten längst nicht alle solch gewaltige Ausmaße. War man ein zehn Zentimeter langes Panzerfischlein, nützte einem die Rüstung wenig gegen die Zangen der Eurypteriden. Seeskorpione und Krebse gab es in Heerscharen, dazu Ammoniten und Belemniten, Stromatoporen, Korallen, Seelilien, Seesterne, Trilobiten, Muscheln, Brachiopoden und Schnecken, Bakterien, Archäen und Algen. Jäger und Gejagte liefen mit der Roten Königin um die Wette. Perfektionierte der eine seine Waffen, verbesserte der andere seinen Schutz. Seelilien legten sich extragiftige Tentakel zu, Fische schärften ihre Zähne und Arthropoden ihre Zangen. Auf allen Seiten wurde aufgerüstet. Das Leben gedieh in unvorstellbarer Fülle, breitete sich im offenen Ozean ebenso aus wie an den Küsten, und eines schönen Tages watschelte Lurchi an Land, entzückt von den vielen Portionen Protein, die da beinreich durchs Grün krabbelten, und setzte die Entwicklung der Säuger und Reptilien in Gang. Richtige kleine Oberarmknochen hatte er, um seinen Bauch nicht über den Boden schleifen zu müssen, ein echter Tetrapode, ein Vierfüßer.
    Was hat ihn veranlasst, seinem angestammten Element Ade zu sagen? Schien ihm das Leben zu riskant in der Gesellschaft von Dunkleosteus und Konsorten? War das Wasser der Lagunen verdunstet, in denen er sein erstes

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