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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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weit vorne gelegenen Augen scheinen über eine gepanzerte Iris verfügt zu haben — urtümlichen Kontaktlinsen gleich fügen sie sich in die Schädelmasse ein. Wenige Zähne hat die Kreatur besessen, von solcher Größe allerdings, dass sie den weit aufgerissenen Rachen vollständig ausfüllen. Wer sich den Spaß macht, seinen Kopf zwischen die 50 Zentimeter langen Hauer zu stecken, sollte wissen, dass ein Zucken dieser Kiefer ausgereicht hätte, ihn auf der Stelle zu guillotinieren. Man erschaudert, dankbar für die Gnade der späten Geburt, und fragt sich, in wessen Fängen man sich da befindet. Ist es Fafner, Siegfrieds schuppiger Raufkumpan? Ebenso gut könnte das Ding ein Basilisk sein wie das Monster aus Harry Potter und die Kammer des Schreckens, eine überdimensionierte, supermies gelaunte Schlange auf der Suche nach dem Schuldigen, dem sie den Umstand ihres Ausgestorbenseins verdankt. Oder sollten wir in die Requisitenkammer von George Lucas geraten sein? Auch möglich. Alles ist wahrscheinlicher, als dass es sich hierbei um einen Fisch handelt, ein Wesen also, das Schwimmer von unten mit begehrlichen Blicken mustern könnte.
    Zeitsprung: Devon, vor 390 Millionen Jahren, früher Nachmittag. Es nieselt an der Südküste des variszischen Ozeans. Hin und wieder bricht sich die Sonne Bahn und entlockt dem Meer sattes Azur. Subtropische Temperaturen, kein nennenswerter Seegang. Der Wind weht schwach. Nachdem der aus Afrika, Südamerika, Australien und der Antarktis zusammengeklumpte Kontinent Gondwana im Süden und das äquatoriale Laurasia begonnen haben, aufeinander zuzuwandern, ist der kleine Ozean immer schmaler geworden. Bald wird er ganz verschwunden sein. Inseln haben sich unter Erzeugung schwerer Beben und Vulkanausbrüche verschwestert, erste Gebirge falten sich auf, Täler und Binnenmeere entstehen. Alles Land strebt zusammen, umgeben vom unermesslich weiten, warmen Meer. Pangäa, Alfred Wegeners Riesenkontinent, dämmert seiner Geburt entgegen.
    Seit der Zeit, als die ersten Moose und Algen auf überspültem Ufergestein Fuß fassten, hat sich hier vieles getan. Mit der Erfindung der Samenkapsel wurden die Pflanzen endgültig aus ihrem Dasein als Küstenbewohner befreit. Auch im Landesinneren hat das Grünzeug Gebietsschutz angemeldet. Frühe Nadelgewächse, Schachtelhalme, Urfarne, einige höher entwickelte Samenpflanzen und Moose prägen ausgedehnte Sumpflandschaften. Sogar erste Bäume recken und strecken sich, als wollten sie den versprochenen Riesenwuchs erproben. Gegen Ende des Devon werden sie zu dichten Farnwäldern von bis zu 30 Metern Höhe emporgeschossen sein. Alle Arten ungeflügelter Insekten kriechen, gleiten und zappeln durch die explodierende Vegetation, die sie schützt und fördert. Das Devon ist ein Paradies für Paläobotaniker und die Hölle für Arachnophobiker. Denn auch Spinnen entwickeln sich mit großer Munterkeit, des Menschen liebstes Iiih! und Bäh!
    An diesem Nachmittag zieht Ciadoselache, ein Hai, dicht unter der Wasseroberfläche dahin. Stolze zwei Meter misst er und sieht aus, als sei er direkt aus dem 21. Jahrhundert hierher geschwommen. Schon im Silur hatten sich die ersten Haie entwickelt, noch klein und mit stacheligen Brustflossen; der älteste komplett erhaltene Hai ist vor 409 Millionen Jahren gestorben: Mit 50 bis 70 Zentimetern Länge war Doliodus problematicus wohl weniger problematisch, als sein Name vermuten lässt. Versteinerte Haut und Zähne anderer Haie datieren weitere 50 Millionen Jahre zurück. Vielleicht ist die große Familie der Haie sogar noch ein bisschen älter. Sie bilden eine der drei Hauptgruppen der Fische des Devon, das als Blütezeit der Knorpelfische, Knochenfische und Panzerfische gilt.
    Haie scheinen sehr früh beschlossen zu haben, Fossiliensammler zu ärgern, indem sie lediglich ihr Gebiss hinterließen. Das Knorpelskelett zerfällt rasch unter dem Ansturm von Bakterien, Krebsen und Würmern, den Rest erledigt das Wasser. Unser Hai aus dem Mittleren Devon gleicht schon sehr den Haien, wie wir sie heute kennen. Sein Sinnesapparat nimmt feinste Duftnuancen und Druckunterschiede wahr. Das hilft ihm, Beute aufzuspüren, ebenso wie es ihn vor herannahenden Jägern schützt. Natürlich ist er hungrig, jeder in diesem Buch ist hungrig. Diffus ziehen sich die zerklüfteten Strukturen eines Riffs dahin, an dem solide Hausmannskost geboten wird, kleine Rochen, Lungenfische und Quastenflosser. Dicht unter ihm kreist ein Geschwader

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