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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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gerollten Hüten, waren den Folgen der Supernova fast komplett zum Opfer gefallen. Jetzt schossen größere Gruppen von ihnen wieder zwischen Oberfläche und tieferen Schichten hin und her, angetrieben von raketenähnlichem Rückstoß, und knackten zwischen ihren papageienschnabelartigen Kiefern alles, was die Reichweite ihrer Extremitäten zu unterschätzen wagte. Bis auf weiteres blieben sie die Schrecken der Meere.
    Am Boden allerdings machte ihnen jemand anderer den üblen Ruf streitig.
    Im Silur entwickelten sich die Gigantostraken, Gliederfüßer, deren größte die Eurypteriden waren. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen einen Skorpion und rollen ihn mit Hilfe einer Nudelrolle platt wie ein Gaspedal. So sieht er jetzt auch aus: ein Gaspedal mit spitz zulaufendem Ende. Skorpione haben acht winzige, punktförmige Äuglein. Die gefallen Ihnen nicht. Stattdessen pfropfen Sie dem breiten, runden Kopf zwei größere Augen auf, womit er etwas von einem superflachen Sportwagen erhält. Dafür verkleinern Sie die Zangen und versetzen die Beine weiter nach vorne, wodurch das Vieh proportional ins Missverhältnis gerät und den größten Teil seiner selbst wie eine Hochzeitsschleppe hinter sich herziehen muss. Das ringt Ihnen kein Mitleid ab, im Gegenteil. Rechts und links fügen Sie segmentierte, bumerangartige Auswüchse an, und endlich gefällt Ihnen das kleine Monster. Zehn Zentimeter ist es lang. Sie hätten es gerne ein bisschen imposanter und vervielfachen die Größe. Was tut der Unhold? Er schnappt nach Ihnen, klar, so wie Sie ihn zugerichtet haben, also verfrachten Sie ihn flugs in silurische Gewässer und lassen ihn auf die dortige Fauna los. Die ist natürlich mächtig sauer, allerdings liegen zwischen Ihnen und den unausweichlichen Gemetzeln rund 440 Millionen Jahre, was Sie vor dem ärgsten Zorn bewahrt.
    Eurypteriden gab es in S, M, L und XXL. Die längsten maßen zwei Meter. Nie wieder haben derart gewaltige Gliederfüßer auf Erden gelebt wie im Silur. Durchaus vorstellbar, dass die riesigen Jäger für kurze Zeit an Land überdauern konnten, allerdings waren sie kaum schnell genug, um neugierige Zeitreisende durch frühzeitliche Sümpfe zu hetzen. Wegen ihrer äußeren Erscheinung werden sie auch als Seeskorpione bezeichnet, und in der Tat weisen Eurypteri- den eine enge Verwandtschaft mit unseren heutigen Spinnen und Skorpionen auf. Im Sediment mummelnde Agnathen waren vor den schnappenden Scheren nicht sicher, darum schenkte Miss Evolution den Kieferlosen eine solide Panzerung für Kopf und Brust. Ungeachtet dessen bildeten sie zusammen mit Mollusken, Krebschen und anderem Gekreuch das Leibgericht der Riesenkrabbler — und manchmal verspeiste so ein Eurypterid auch einen echten Playboy.
    Playboys kennen wir unter Namen wie Giacomo Casanova, Günther Sachs und Hugh Hefner. Der Playboy des Silurs hörte auf einen weniger klangvollen Namen, dafür schlug er die vorgenannten Herren buchstäblich um Längen. Colymbosathon ecplecticos war ein Ostrakode, ein kleiner Muschelkrebs mit Kiemen, Augen und Beinchen, dessen herausragendste Eigenschaft sein Penis war. Es ist nicht nur der älteste je überlieferte Penis überhaupt, sondern auch der im Vergleich zur Körpergröße längste.
    Flink war Colymbosathon, dessen Name wörtlich übersetzt »Erstaunlicher Schwimmer mit großem Penis« lautet. In Tiefen von 150 bis 200 Meter glitt er über den Meeresboden dahin, erbeutete kleine Tiere und suchte nach Aas. Die Zahl seiner weiblichen Eroberungen liegt im Dunkeln, aber ein guter Liebhaber definiert sich bekanntlich nicht über die Größe seines besten Stücks. Folgerichtig ist er ausgestorben, der kleine Angeber.
    Geschieht ihm recht.

 
Frischer Fisch
    Wer im Frankfurter Naturkundlichen Museum Senckenberg die Räume durchstreift, gelangt vorbei an Dinosauriern, Mammuts und Walen in einen Raum, der den Pisces gewidmet ist. Präparierte und nachgebildete Fische aller Größen hängen glotzend im Nichts beleuchteter Vitrinen, als hätten sie nicht recht begriffen, wie sie hierher gekommen sind. Die schuppige Versammlung ist durchaus geeignet, Eindruck zu schinden, doch etwas Großes, Dunkles stiehlt ihr die Schau und zieht den Blick des Betrachters magisch an.
    Gebannt bleibt man vor einem gewaltigen Schädel stehen, der inmitten des Raumes auf einem Podest thront wie aus Granit gehauen. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die vermeintliche Skulptur als Patchwork schiefergrauer Panzerplatten. Selbst die kleinen,

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