Nachrichten aus einem unbekannten Universum
speerförmiger Tintenfische mit spitzen Hüten. Auch die könnte man sich einverleiben, doch das wässrige Gummizeug mit dem Tentakelgedöns ist nicht sein Fall. Noch sind die Zeiten zu gut, als dass man diesen Glitsch fressen müsste. Am Rande des Riffs, wo die Korallen weniger dicht stehen, wird sich schon was finden lassen, das einem devonischen Hai mundet.
Und schon bewegt sich etwas im Schatten einer Fächerkoralle. Klein, mit Schwanz und Flossen, das personifizierte Frissmich.
Der Hai schwimmt darauf zu.
Tja.
Sagen wir mal so: Hätte Cladoselache am selben Morgen beschlossen, einen Gemüsetag einzulegen, könnten wir seine Geschichte vielleicht weitererzählen, seine Kinder kennen lernen, zusehen, wie er alt und tatterig wird und seinen Ururururenkeln weiszumachen versucht, im Devon sei alles besser gewesen. Doch leider wird er Vaterfreuden nie erfahren. Etwas anderes hat auf ihn gewartet, so still und reglos, dass nicht mal seine druckempfindlichen Körperzellen darauf reagierten. Jetzt schießt es mit einem einzigen Schlag seines enormen Schwanzes nach vorne. Der Hai reagiert blitzschnell, versucht Abstand zwischen sich und den überraschend aufgetauchten Angreifer zu legen. In einer 180-Grad-Kurve katapultiert er sich nach oben. Doch auch der Jäger weiß sich zu bewegen.
Eine Druckwelle wirbelt den Hai gegen die Korallenbänke, als der kolossale Körper dicht vorbeizieht und ihm den Weg abschneidet. In Panik wirbelt er herum, versucht, der Falle zu entkommen — zu spät. Ein runder, gepanzerter Schädel klafft vor ihm auseinander, unerbittlich zieht ihn der Sog des Wassers zwischen die riesigen Reißzähne. Dann klappen die Kiefer über ihm zusammen, zermalmen ihn, zerbrechen sein Knorpelskelett, zertrümmern seinen Schädel, und das Drama findet ein Ende. Seine Schrecklichkeit hat gespeist. Heute gab es Hai, zart und frisch. Danke, es hat gemundet. Die Rechnung bitte.
Womit wir wieder im Senckenberg-Museum wären.
Das gepanzerte Dingsbums ist tatsächlich der Schädel eines Fisches, des größten Wirbeltiers seiner Zeit. Und damit gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Der bissige Finsterling liefert nämlich ein schönes Beispiel für Konvergenz, eine Angewohnheit unserer Miss Evolution, das Gleiche mehrfach zu erfinden — genauer gesagt, den gleichen Effekt mit unterschiedlichen Mitteln zu erzielen. Tatsächlich sind die Zähne des Wesens gar keine Zähne. Jedenfalls nicht solche, wie Menschen sie besitzen. Bei den Hauern handelt es sich vielmehr um reiß- und mahlzahnartige Panzerplatten mit der Funktion von Zähnen.
Nebenbei, auch Haie besitzen keine Zähne. Kein Witz! Die Evolution hat ihnen eine Haut verliehen, die rau ist wie Schmirgelpapier, weil über und über bedeckt mit winzigen, zahnförmigen Plättchen, so genannten Placoidschuppen. Zum Kiefer hin werden diese Schuppen größer, bis sie im Innern des Mauls das berühmte Revolvergebiss formen, einen Beißapparat, dessen hintere Reihen umgeklappt in Reserve liegen und bei Bedarf nach vorne rücken. Schaut man genauer hin, sieht man, dass die angeblichen Zähne in gleicher Weise angeordnet sind wie die Körperschuppen, womit das Gebiss des Hais eine Fortsetzung der Haut darstellt. Das ist wenig tröstlich, wenn der Hautkontakt ein Körperteil gekostet hat. Es zeigt aber auf eindrucksvolle Weise, dass die Evolution keine Standardlösungen bereithält, sondern immer wieder zu kreativer Höchstform aufläuft, wenn es darum geht, aus Vorhandenem das Beste zu machen. Auch das Auge hat sie mehrfach erfunden, immer dem Zweck verpflichtet, Signale optisch zu verarbeiten, doch völlig unterschiedlich in der Konstruktion. Manche Augen scheinen unseren zum Verwechseln ähnlich, so wie das Auge des Wals.
Andere — etwa die Facettenaugen der Insekten oder die Punktaugen der Spinnen und Skorpione — unterscheiden sich grundlegend von unseren. Es sind konvergente Systeme, die nicht aufeinander aufbauen, sondern unabhängig voneinander entstanden sind. Neuerdings ist allerdings die Suche nach einem gemeinsamen Gen, das allen Bauplänen zugrunde liegt, wieder aufgenommen worden. Verdächtig scheint ein Gen mit der Bezeichnung Pax-6, das der Evolution möglicherweise als Basisbaustein aller Augen diente. So richtig klar sieht man diesbezüglich noch nicht.
Im Falle des Untiers aus dem Senckenberg-Museum entschied Miss Evolution, die Beißerchen aus dem zu formen, was das Wesen ohnehin auszeichnete und schützte, nämlich aus der Panzerung. Der
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