Nachrichten aus einem unbekannten Universum
waren es immer noch so viele, dass sich die Evolution zu einer rigorosen Einwanderungspolitik gezwungen sah. Wer umsiedelte, musste es sich gefallen lassen, jedermanns Futter abzugeben und seine eigenen Ernährungsgewohnheiten hintanzustellen. Wollte man nicht gefressen werden, empfahl es sich, verbesserte Abwehrmechanismen zu entwickeln und ständig auf der Hut zu sein.
Das Leben rückte zusammen. Niemand konnte es sich mehr leisten, wählerisch zu sein, und natürlich kam man sich ohne Unterlass in die Quere.
Eigentlich gab es nichts Ergiebigeres als ein Riff.
Dass der Megalodon — als seine 15 Tonnen Lebendgewicht wie schwerelos der Steilwand entgegenglitten — dennoch von der Gegend nicht begeistert war, verdankte sich seiner Größe. Die flache Landschaft oberhalb der Kante bot ihm kaum Bewegungsspielraum. Zu anderen Zeiten hätte er sich nicht der Mühe unterzogen, einem Beutetier ins Gewirr des Riffs zu folgen, wo es sich verstecken konnte. Doch der Hunger änderte alles. Was sollte schon passieren? Im Zweifel blieb man eben hängen oder schlitzte sich die Flanke auf, dafür erhöhte sich die Chance auf einen Bissen Nahrhaftes. Und der Megalodon spürte allzu deutlich, dass sein Leben davon abhing.
Vorerst wagte er sich nicht auf das Plateau hinauf. Eine Weile streifte er dicht am Fels entlang und versuchte, gegen das einfallende Tageslicht etwas auszumachen, das sich als fressbar oder gefährlich erwies. Gemächlich näherte er sich dem Ort, an dem die Wale jagten — nein, gejagt hatten. Der Blutgeruch war stärker geworden, dafür rückten die fiependen und singenden Laute in unbestimmte Ferne. Seine Erfahrung sagte dem Megalodon, dass die Tiere gesättigt waren.
Im selben Moment wurde seine Empfindung bestätigt. Eine Gruppe Schwertwale machte sich von dannen. Ihre schwarzweißen Leiber stoben über die Riffkante hinaus in die dunkle See, und der Megalodon sank vorsichtig ein Stück tiefer. Obwohl größer als ein Schwertwal und grundsätzlich überlegen, traute er sich nicht, die Gruppe zu attackieren. Zu lebhaft war ihm die Begegnung mit den Delphinen in Erinnerung, zu sehr schmerzte seine Flanke. Er blieb im Schutz der Wand, obschon der Blutdunst immer stärker wurde und ihn in einen Zustand höchster Erregung versetzte. Der Ursprung lag oberhalb der Riffkante. Er würde ins Seichte vorstoßen müssen, aber diesmal schien es sich wenigstens zu lohnen.
Nachdem die Schwertwale weit genug weg waren, stieg er langsam höher. Über ihm zuckten Schwärme silbriger Fische in synchroner Eintracht zwischen Korallenwucherungen umher. Sie nahmen den herannahenden Riesen nicht wahr, der seinerseits kein Interesse an ihnen zeigte. In einen solchen Schwarm hineinzustoßen brachte gar nichts, außer ihn auseinander zu sprengen, sodass er sich in viele glitzernde Fragmente auflöste. Unmöglich zu entscheiden, welchem man folgen sollte, reine Glückssache, einen der Flüchtlinge zwischen die Kiefer zu bekommen. Der Aufwand lohnte nicht, und mit seinen Kräften musste der Megalodon haushalten. Ihm lag an einem der Tiere, die das Blut absonderten, und inzwischen wusste er auch, was ihn erwartete. Blut war nicht gleich Blut. Dieses hier roch fett und gehaltvoll. Es war das Blut von Walen. Die Schwertwale hatten sich über andere, vermutlich kleinere Meeressäuger hergemacht, oder sie hatten im Verbund einen Großwal angegriffen. Für Großwale war es oben allerdings zu flach.
Der Blick über die Kante brachte Gewissheit und steigerte die Jagdlust des Megalodon. Sein Geruchs- und Geschmackssinn war weit besser ausgebildet als seine Augen, aber auch so erfasste er sofort die Lage.
Dicht über dem Boden des Plateaus waberte ein trüber roter Nebel, dazwischen trieben Gewebefetzen. In einiger Entfernung, nahe einer zerklüfteten Felsformation, drängten sich kuriose Wesen zusammen, jedes zwischen zwei und drei Meter lang. Offenbar waren sie in Panik geflohen, als die Schwertwale kamen. Einige von ihnen hatten auf dem Plateau ihr Leben verloren. Entsprechend zögerlich wagten sich die Überlebenden wieder vor. Der Form nach waren sie Wale mit dem Aussehen von Walrössern. Tasthaare sträubten sich von einer wulstigen Oberlippe. Den abwärts gebogenen Mundwinkeln entsprangen zwei nach hinten gerichtete Zähne, deren rechter bei den Männchen von beachtlicher Länge war, mehr ein Speer als ein Zahn, gut und gerne ein Drittel so lang wie der komplette Körper. Einige der Wale hatten die Nahrungssuche tastend wieder
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