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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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aufgenommen. Sie legten den Kopf in den Nacken und schleiften ihre Stoßzähne übers Sediment, um kleine Wirbellose aufzustöbern.
    Um zu fressen, mussten sie sich auf die Seite legen, weil ihnen sonst ihr eigenes Gebiss im Weg gewesen wäre. Bedächtig arbeiteten sie sich vor. Wann immer die Rodung erfolgreich war, schlürften sie ihre Beute, Tintenfische, Muscheln und Würmer, in sich hinein. Die Wölbung der Stirn verriet, dass sie über die Fähigkeit der Echoortung verfügten. Auch den Megalodon mussten sie demnach geortet haben, aber es war fraglich, wann sie ihn als Gefahr begriffen.
    Mit einem Schlag seiner vier Meter hohen Schwanzflosse brachte sich der Hai in Position.
    Dann katapultierte er sich mit einem einzigen gewaltigen Satz in die Herde hinein und riss dem zuvorderst schwimmenden Tier mit einer fast beiläufigen Bewegung seiner Kiefer die Fluke ab. Eine Wolke dunkelroten Blutes breitete sich aus. Die anderen Wale schossen davon, schwammen hektisch durcheinander und versuchten, Abstand zwischen sich und das Monstrum zu legen. Der Megalodon beschrieb eine Kurve und zog sich an die Riffkante zurück. Seine Taktik zielte darauf ab, die Beute zu überraschen und zu schwächen. Wie alle Haie war er im Grunde seines Wesens ängstlich und auf Vorsicht bedacht. Er scheute die offene Konfrontation, zu groß war das Risiko, verletzt zu werden. Diese kleinen Wale waren sicher harmlos, aber der Megalodon hatte gelernt, sich vorzusehen. Zu seinen besten Zeiten waren nicht mal Großwale vor ihm sicher gewesen, Giganten, die sich zu wehren wussten. Ein Schlag mit der Fluke eines solchen Riesen war geeignet, dass selbst einem ausgewachsenen Megalodon Hören und Sehen verging, aber das hatte ihn nicht abgehalten, sie zu attackieren. Doch inzwischen…
    Er wartete. Das tödlich verwundete Tier versuchte mit schwachen Bewegungen seiner Flipper zu entkommen, aber es hatte jeden Richtungssinn verloren. Aus seinem Hinterleib strömte das Blut. Sein Ende war besiegelt. Der Megalodon wusste, dass er jetzt gefahrlos wieder vorstoßen konnte, und machte sich bereit.
    Im selben Moment schnellte ein eleganter Körper an ihm vorbei, dann noch einer, gefolgt von einem dritten. Die Neuankömmlinge waren allenfalls halb so groß wie er, glichen ihm ansonsten jedoch auf verblüffende Weise. Sie stürzten sich in die rote Wolke und begannen, den verletzten Wal auseinander zu reißen. Außer sich vor Wut und Verzweiflung folgte ihnen der Megalodon. Sein gewaltiger Schädel rammte einen der Angreifer in der Körpermitte und schleuderte ihn weg von dem Kadaver, aus dem die beiden anderen große Brocken rissen. Die Beute war aufgeteilt, ohne dass er etwas abbekommen hatte, und jetzt tauchten weitere der kleineren Haie auf und umkreisten die verängstigten Wale. Von allen Seiten schossen sie heran, schlugen ihre Zähne in den fetten Speck, säbelten mit hin und her schwingenden Köpfen Stücke heraus. Binnen weniger Augenblicke tobte ein Inferno über dem Plateau. Der Megalodon versuchte sich zu orientieren. Übermächtig war der Geruch der Blutwolken, die sich wie riesige Blüten entfalteten. Vor seinen Augen wirbelten Haie und zerfetzte Körperteile durcheinander, dann sank direkt neben ihm der Hinterleib eines halbierten Wals herab. Der Megalodon drehte sich und schnappte danach, doch zwei der Angreifer waren schneller und begannen sich um den Überrest zu balgen, während ein dritter drohend seine Breitseite präsentierte, einen Buckel machte und frontal auf ihn losging. Verwirrt zuckte der Riese zurück. Rasende Qual durchfuhr ihn, als der Hai im letzten Moment seitlich wegzog und gegen seinen Schädel prallte. Der Megalodon wirbelte herum und gewahrte neues Blut, das nicht von den Walen stammte. Es war sein eigenes. Angst gesellte sich zur Frustration. Er musste fort von hier, wenigstens lange genug, um Kräfte zu sammeln. Mit zuckenden Schwanzschlägen entzog er sich dem Gemetzel und floh über die Riffkante ins tiefblaue Wasser der offenen See. Seine rechte Kopfseite war ein einziger, roher Schmerz, sehen konnte er nur noch mit dem linken Auge, das andere sandte dunkelrote Blitze in seinen Schädel. Er hielt auf die Tiefe zu, als etwas ihm einen heftigen Schlag versetzte. Neben ihm tauchte einer der wendigen Angreifer auf, zog vorbei und begann ihn zu umkreisen. Ein weiterer näherte sich von unten, rammte seinen Bauch und platzierte einen schnellen Biss.
    Da er stark blutete, war offenbar auch der Megalodon zur Beute geworden.

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