Nachrichten aus Mittelerde
ihm. Er stellte keine überflüssigen Fragen, doch bemerkte er wohl, dass sie immer dem aufwärts nach Osten verlaufendenBergzug folgten und sich niemals nach Süden wandten. Er wunderte sich darüber, denn wie die meisten Elben und Menschen war er der Ansicht, Turgon wohne weit von den Schlachtfeldern des Nordens entfernt.
Im Zwielicht oder in der Nacht kamen sie in der unwegsamen Wildnis langsam voran, und umso rascher zog der rauhe Winter aus Morgoths Reich herbei. Trotz der schützenden Hügel waren die Winde kräftig und beißend, und bald lag tiefer Schnee auf den Höhen, wirbelte über die Pässe und fiel auf die Wälder von Núath, ehe diese noch ihre welken Blätter gänzlich abgeworfen hatten. 14 So kam, obwohl sie in der ersten Hälfte der Narquelië aufgebrochen waren, die Hísime mit beißendem Frost, gerade als sie sich den Quellen des Narog näherten.
Dort, am Ende einer mühseligen Nacht, machten sie im Morgengrauen halt; Voronwe erschrak und blickte sich furchtsam und schmerzerfüllt um: Wo einst der Weiher von Ivrin in seinem großen, durch die Wasserfälle ausgewaschenen steinernen Becken erglänzte, wo er als eine baumgesäumte Mulde in den Hügeln gelegen hatte, erblickte er jetzt nichts als ein besudeltes und verwüstetes Gelände. Die Bäume waren verbrannt oder herausgerissen, die steinerne Umrandung des Beckens war zerbrochen, so dass die ungebändigten Wasser des Ivrin inmitten der Zerstörung einen armseligen Morast bildeten. Alles war jetzt nur noch eine Wüstenei gefrorenen Schlamms, und ein Gestank von Verwesung lag wie ein widerwärtiger Dunst über dem Ort.
»Wehe! Ist das Böse sogar hierher gekommen?«, rief Voronwe. »Einst war dieser Ort weit entfernt von der Bedrohung durch Angband, doch die Klauen Morgoths strecken sich immer weiter aus!«
»Es ist so, wie Ulmo gesagt hat«, sagte Tuor:
»Die Quellen sind vergiftet, und meine Macht zieht sich aus den Wassern des Landes zurück.«
»In der Tat, hier hat ein böser Geist gewaltet«, sagte Voronwe, »der mächtiger ist als die Orks. Furcht umlauert diesen Ort.« Er prüfte den Rand des Morastes, bis er auf einmal innehielt und aufschrie: »Ja, das Böse war groß!« Er forderte Tuor auf, näher zu treten, und dieser sah einen Einschnitt wie eine gewaltige Furche, die nach Süden führte. Zu beiden Seiten verliefen, bald undeutlich, bald durch den Frost hart und klar im Boden ausgeprägt, die Spuren großer, klauenbewehrter Füße. »Seht!«, sagte Voronwe, und sein Gesicht war von Furcht und Abscheu bleich, »vor nicht langer Zeit ist der Große Wurm von Angband hier gewesen, die grausamste aller Kreaturen des Feindes! Es kann bereits zu spät sein für unsere Botschaft an Turgon. Eile tut Not.«
Gerade als er dies sagte, hörten sie einen Ruf in den Wäldern, und sie verharrten lauschend wie graue Steine. Doch es war eine friedliche Stimme, wenn auch von Schmerz erfüllt; sie schien immer wieder einen Namen zu rufen, als ob sie nach jemandem suche, der verlorengegangen war. Während sie warteten, kam jemand durch die Bäume näher, und sie sahen, dass es ein großer Mann war. Er war bewaffnet, schwarz gekleidet, hatte ein langes Schwert gezogen, und sie wunderten sich, dass dessen Blatt schwarz war, die Kanten aber hell und kalt funkelten. Kummer stand auf seinem Gesicht, und als er den verwüsteten Ivrin sah, schrie er vor Gram laut auf: »Ivrin, Faelivrin! Gwindor und Beleg! Hier wurde ich einst geheilt. Aber jetzt werde ich niemals wieder den Becher des Friedens trinken.«
Darauf schritt er schnell in nördlicher Richtung davon, wie jemand, der auf einer Verfolgungsjagd ist oder eine eilige Botschaft hat. Sie hörten ihn rufen:
Faelivrin, Finduilas!,
bis seine Stimme in den Wäldern verhallte. 15 Doch sie wussten nicht, dass Nargothrond gefallen war und dass sie Túrin, den Sohn Húrins, gesehen hatten, den Träger des Schwarzen Schwerts.Auf diese Weise kreuzten sich für einen Augenblick und niemals wieder die Wege der Blutsverwandten Túrin und Tuor.
Nachdem das Schwarze Schwert verschwunden war, setzten sie ihren Weg noch eine Weile fort, obwohl es Tag geworden war, denn die Erinnerung an den Schmerz dieses Mannes lastete schwer auf ihnen, und sie konnten es nicht über sich bringen, in der Nähe des verwüsteten Ivrin zu bleiben. Doch bald suchten sie sich ein Versteck, denn jetzt war ringsum das Land von der Vorahnung des Bösen erfüllt. Ihr Schlaf war kurz und unerquicklich, und als der Tag sich neigte und es
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