Nachrichten aus Mittelerde
geleiten würde, könntet Ihr sie nicht passieren.«
»Nicht weiter als bis zum Tor bitte ich dich, mich zu geleiten«, sagte Tuor. »Dort werden das Schicksal und der Wille Ulmos miteinander streiten. Wenn Turgon mich nicht zu sich lässt, ist mein Auftrag beendet, und das Verhängnis wird seinen Lauf nehmen. Aber was mein Recht angeht, Turgon aufzusuchen, höre also: Ich bin Tuor, Huors Sohn und Abkömmling Húrins, deren Namen Turgon nicht vergessen haben wird. Und überdies suche ich ihn auf Befehl Ulmos. Sollte Turgon vergessen haben, was Ulmo einst zu ihm sagte:
Denke daran, dass die letzte Hoffnung der Noldor vom Meer kommen wird?
Oder:
Wenn die Gefahr nahe ist, wird jemand aus Nevrast kommen, um dich zu warnen.
11 Dieser Mann bin ich, ein Rad im Getriebe, das meinetwegen in Gang gesetzt wurde.«
Verwundert hörte Tuor sich selbst diese Worte sprechen, denn als er von Nevrast aufgebrochen war, hatte er Ulmos Botschaft an Turgon nicht gekannt. Niemand kannte sie, das Verborgene Volk ausgenommen. Deshalb war Voronwe umso überraschter, doch er wandte sich ab, schaute auf das Meer und seufzte: »Wohlan!«, sagte er. »Ich habe gewünscht, nie wieder zurückzukehren. Sollte ich jemals wieder einen Fuß an Land setzen, so habe ich mir oft genug in den Tiefen der See gelobt, wollte ich, weit entfernt von den Schatten des Nordens, in Muße leben. Bei den Anfurten Círdans vielleicht, oder in den freundlichen Gefilden Nan-tathrens, wo der Frühling lieblicher ist, als das Herz es sich erträumen kann. Aber während ich wanderte, hat die Macht des Bösen zugenommen, die letzte Gefahr nähert sich meinem Volk, und ich muss zurückkehren.« Er wandte sich wieder gegen Tuor: »Ich will Euch zu den verborgenen Toren führen«, sagte er, »denn ein kluger Mann wird sich den Ratschlüssen Ulmos nicht wiedersetzen.«
»Dann wollen wir zusammen gehen, wie es uns aufgetragen ist«, sagte Tuor. »Doch klage nicht, Voronwe! Denn mein Herz spricht zu dir: möge deine lange Reise dich weit von den Schattenwegführen und deine Hoffnung, an das Meer zurückzukehren, möge sich erfüllen.« 12
»Die Eure ebenso«, sagte Voronwe. »Aber jetzt müssen wir das Meer verlassen und uns sputen.«
»Ja«, sagte Tuor. »Aber wohin willst du mich führen und wie weit? Sollen wir nicht zuerst darüber nachdenken, wie wir uns in der Wildnis zurechtfinden oder, falls die Reise lange dauert, wie wir ohne Unterschlupf den Winter überstehen werden?«
Aber über ihren Reiseweg wollte Voronwe nichts Genaues sagen. »Was Menschen vermögen, ist Euch wohlbekannt«, sagte er, »was mich freilich angeht, so bin ich ein Noldor, und Hunger und Winterkälte müssen schon lange andauern, ehe sie jemanden aus jenem Stamm töten, der das Malm-Eis überquert hat. Wie, glaubt Ihr, konnten wir ungezählte Tage in den salzigen Wüsten des Meeres überstehen? Habt Ihr nicht von der Wegerichpflanze der Elben gehört? Ich trage noch immer einen Vorrat bei mir, wie es alle Seefahrer bis zuletzt zu tun pflegen.« Darauf ließ er unter seinem Umhang ein versiegeltes Säckchen sehen, das an seinen Gürtel geschnallt war. »Solange es versiegelt ist, können ihm weder Wasser noch Kälte etwas anhaben. Aber nur in größter Not dürfen wir es angreifen. Außerdem wird ein Verfemter und Jäger sicherlich noch andere Nahrung finden, solange es die Jahreszeit zulässt.«
»Vielleicht«, sagte Tuor. »Doch nicht in jedem Land ist das Jagen ungefährlich, und sei noch so reichlich Beute vorhanden. Außerdem verzögert es die Reise.«
Nun machten sich Tuor und Voronwe zum Aufbruch bereit. Von den Waffen, die er aus der Halle mitgebracht hatte, nahm Tuor den kleinen Bogen und Pfeile mit; den Speer jedoch, der in der Runenschrift der Nord-Elben seinen Namen trug, stellte er an die Wand, zum Zeichen, dass er hier vorübergekommen war. Voronwe führte außer einem kurzen Schwert keine Waffe.
Bevor der Tag anbrach, verließen sie den alten Wohnsitz Turgons, und Voronwe führte Tuor die steilen Hänge des Taras hinab und über die große Landzunge. Dort hatte einst die Straße von Nevrast nach Brithombar entlanggeführt, von der jetzt nur noch eine grüne Spur zwischen grasüberwachsenen Erdwällen übrig war. So gelangten sie nach Beleriand und in den nördlichen Teil der Falas. Dort wandten sie sich nach Osten und suchten Zuflucht im Schatten der überhängenden Felsen des Ered Wethrin; dort rasteten sie versteckt, bis die Dämmerung hereinbrach. Obwohl Brithombar und
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