Nachrichten aus Mittelerde
dunkel wurde, setzte heftiger Schneefall ein, und mit der Nacht kam grimmiger Frost. Von diesem Augenblick an hörten Schnee und Eis überhaupt nicht mehr auf, und fünf Monate lang hielt der Grausame Winter, an den man sich noch lange erinnerte, den Norden in seinem Bann. Nun wurden Tuor und Voronwe von der Kälte gequält, und sie fürchteten, ihre Spuren im Schnee könnten sie jagenden Feinden verraten oder sie könnten in einen heimtückischen Hinterhalt geraten. Sie marschierten neun Tage lang, immer langsamer und unter wachsenden Qualen, als sich Voronwe ein wenig nach Norden wandte, bis sie die drei Quellflüsse des Teiglin überquerten. Darauf ging es wieder ostwärts, sie verließen die Berge und gingen vorsichtig weiter, bis sie den Glithui überquerten und an den Malduin kamen, dessen Wasser schwarz gefroren war. 16
Da sprach Tuor zu Voronwe: »Der Frost ist grausam, und der Tod nähert sich uns.« In der Tat war ihre Lage sehr schlimm, denn es war lange her, seit sie in der Wildnis ein wenig Nahrung gefunden hatten, die Wegzehrung schwand dahin, und sie waren durchfroren und erschöpft.
»Es ist bitter«, sagte Voronwe, »zwischen dem Verhängnis der Valar und der Grausamkeit des Feindes gefangen zu sein. Bin ich dem Rachen der See entkommen, um im Schnee begraben zu werden?«
Aber Tuor sagte: »Wie weit müssen wir jetzt noch gehen? Du musst jetzt endlich dein Geheimnis mit mir teilen, Voronwe. Hast du mich den kürzesten Weg geführt, und wohin führt er? Denn wenn ich meine letzten Kräfte opfern muss, möchte ich wissen, wozu es gut ist.«
»Ich habe Euch, soweit es unsere Sicherheit zuließ, den kürzesten Weg geführt«, sagte Voronwe. »Wisset nun, Tuor, dass Turgon noch immer im Norden des Landes der Eldar wohnt, wenn es auch nur wenige glauben. Wir sind seinem Wohnsitz schon recht nahe, aber es sind immer noch viele Meilen zurückzulegen, selbst wenn man wie ein Vogel fliegen könnte. Immerhin müssen wir noch den Sirion überqueren, und bis dahin kann uns möglicherweise noch viel Böses begegnen. Bald nämlich erreichen wir die Straße, die seit alters her vom Wachtturm König Finrods nach Nargothrond hinunterführt. 17 Dort werden die Knechte unseres Feindes sich aufhalten und auf der Lauer liegen.«
»Ich hielt mich für den abgehärtetsten der Menschen«, sagte Tuor, »und ich habe viele harte Winter in den Bergen überlebt, doch damals hatte ich eine Höhle als Zuflucht und ein wärmendes Feuer. Jetzt aber, hungrig wie ich bin, zweifle ich an meiner Kraft, bei dieser schlimmen Kälte weiterzugehen. Aber lass uns aufbrechen und marschieren, so weit wie wir können, bevor uns die letzte Hoffnung verlässt.«
»Wir haben keine andere Wahl«, sagte Voronwe, »es sei denn, wir legten uns hier nieder, um im Schnee auf den Todesschlaf zu warten.«
Also kämpften sie sich den ganzen bitteren Tag lang vorwärts, und der Winter machte ihnen mehr zu schaffen als die Bedrohung durch Feinde. Doch je weiter sie vordrangen, desto weniger Schnee fanden sie, denn sie stiegen jetzt wieder nach Süden in das Tal des Sirion hinab und hatten die Berge von Dor-lómin weit hinter sich gelassen. Als die Dämmerung sichvertiefte, erreichten sie die Landstraße, die sich am Fuß des dichtbewaldeten, steilen Flussufers entlangzog. Plötzlich hörten sie Stimmen, und als sie vorsichtig hinter den Bäumen hervorspähten, sahen sie in der Tiefe ein rotes Licht. Eine Gruppe von Orks lagerte mitten auf der Straße, zusammengedrängt um ein mächtiges Holzfeuer.
»Gurth an Glamhoth!«
, murmelte Tuor. 18 »Jetzt soll das Schwert unter dem Mantel hervorkommen. Ich will den Tod riskieren, um dieses Feuer in die Hand zu bekommen, und sogar das Fleisch der Orks wäre eine willkommene Beute.«
»Nein!«, sagte Voronwe. »Auf dieser Reise hilft uns nur der Mantel. Entweder Ihr schlagt Euch das Feuer aus dem Kopf, oder Ihr müsst Turgon vergessen. Dieser Trupp ist nicht allein in der Wildnis. Sieht denn Euer sterbliches Auge nicht im Norden und Süden den Feuerschein weiterer Wachtposten? Der geringste Lärm würde ein ganzes Heer auf uns hetzen. Hört auf mich, Tuor! Es verstößt gegen das Gesetz des Verborgenen Königreichs, sich seinen Toren zu nähern, wenn einem Feinde auf den Fersen sind. Dieses Gesetz werde ich nicht brechen, weder um Ulmos Auftrag noch um des Todes willen. Wenn Ihr die Orks aufstört, werde ich Euch verlassen.«
»Also lassen wir sie ungeschoren«, erwiderte Tuor. »Doch möge ich den Tag
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