Nachrichten aus Mittelerde
Sinn, ein Floß aus Weidenästen zu bauen und mich auf den schimmernden Wassern des Sirion zu ergehen; so geschah es, und der Fluss trug mich. Doch eines Tages, als ich mich in der Flussmitte befand, kam plötzlich Wind auf, ergriff das Floß, trieb mich davon aus dem Land der Weidenbäume und dem Meer zu. Also kam ich als letzter der Boten bei Círdan an. Von den sieben Schiffen, die er auf Turgons Bitte erbaut hatte, waren alle bis auf eines bereits fertig. Und eines nach dem anderen setzten sie Segel, steuerten nach Westen, doch weder kehrten sie jemals zurück, noch hat man irgendeine Nachricht von ihnen empfangen.
Aber jetzt begann mein Seefahrerblut in der salzigen Seeluft schneller zu fließen, ich hatte meine Freude an den Wellen und erlernte das Handwerk der Seeleute, als hätte ich es schon immerbeherrscht. So war ich denn, als das letzte und größte Schiff fertiggestellt war, begierig aufzubrechen und sagte mir selbst: Wenn es zutrifft, was die Noldor sagen, gibt es im Westen Wiesengründe, mit denen sich das Land der Weidenbäume nicht messen kann. Dort gibt es kein Verwelken, und der Frühling endet niemals, und vielleicht gelange ich, Voronwe, sogar dorthin. Im schlimmsten Fall ist es immer noch besser, sich dem Wasser anheimzugeben als den Schatten im Norden. Ich hatte keine Furcht, denn die Schiffe der Teleri galten als unsinkbar.
Doch die Große See ist furchtbar, Tuor, Sohn Huors, und sie hasst die Noldor, weil sie die Valar verderben will. Sie hält Schlimmeres bereit als den Untergang in ihren Abgründen: Abscheu, Einsamkeit und Wahnsinn, Schrecken des Sturms, Aufruhr und Stille und Schatten, wo jede Hoffnung vergeben ist und jedes Leben erstirbt. Und sie bespült viele sonderbare und verderbenbringende Gestade und wimmelt von Inseln voller Furcht und Gefahr. Ich will Euer Herz nicht trüben, Sohn Mittelerdes, mit der Geschichte meiner siebenjährigen Irrfahrt auf dem Großen Meer, die mich vom Norden bis in den Süden, doch niemals in den Westen verschlug, denn dieser ist uns verschlossen.
Schließlich, in finsterer Verzweiflung, zerfallen mit der Welt, wendeten wir das Schiff und flohen vor dem Verhängnis, das uns so lange verschont hatte, um uns umso grausamer zu treffen. Gerade nämlich, als wir in der Ferne einen Berg erspähten und ich ausrief: ›Seht, dort liegt Taras, das Land meiner Geburt!‹ – in diesem Augenblick frischte der Wind auf, und aus dem Westen zogen massige, donnerschwangere Wolken herauf. Dann jagten uns die Wellen, als seien sie lebende, bösartige Wesen, und die Blitze zuckten auf uns herab. Und wenn wir wie eine hilflose Nussschale hinabgepresst worden waren, schleuderten uns die tobenden Seen wieder empor. Aber ich blieb, wieIhr seht, verschont. Es kam eine Woge herbei, größer und doch ruhiger als die anderen, wie mir schien, und sie packte mich, hob mich vom Schiff, trug mich hoch auf ihren Schultern, rollte an Land und warf mich in das Gras. Dann flutete sie zurück und ergoss sich wie ein Wasserfall über den Klippenrand. Länger als eine Stunde saß ich dort, noch benommen vom Meer, als Ihr auf mich zukamt. Noch immer habe ich die Furcht in mir und spüre den Schmerz über den bitteren Verlust aller meiner Freunde, die an meiner Seite waren auf einer langen und weiten Fahrt, die uns über die Gefilde der Sterblichen hinausgeführt hatte.«
Voronwe seufzte und sprach dann leise wie zu sich selbst: »Doch hell standen die Sterne am Rande der Welt, wenn sich die Wolken im Westen gelegentlich verzogen hatten. Freilich weiß ich nicht, ob wir nur ferne Wolken sahen oder in der Tat, wie manche glaubten, die Berge der Abwehr, die Pelóri, erblickten, die sich über den ausgestorbenen Stränden unserer alten Heimat erheben. Fern, unendlich fern standen sie, und ich glaube, kein Sterblicher wird jemals wieder in jene Gegenden kommen.« Danach verstummte er. Die Nacht war hereingebrochen, und die Sterne schimmerten weiß und kalt.
Bald darauf erhoben sich Tuor und Voronwe, kehrten dem Meer den Rücken und brachen zu ihrer langen Reise in die Finsternis auf. Wenig ist darüber zu berichten, denn Ulmos Schatten wachte über Tuor, und niemand erspähte sie auf ihrem Weg durch Wald und Fels, Felder und Auen, zwischen der untergehenden und der aufgehenden Sonne. Doch sie blieben immer auf der Hut, wichen den Jägern Morgoths aus, die auch nachts sehen können, und vermieden die ausgetretenen Pfade der Elben und Menschen. Voronwe bestimmte den Weg, und Tuor folgte
Weitere Kostenlose Bücher