Nachruf auf eine Rose
sah ihn verständnislos an.
«Sich umgebracht hat? Glauben Sie etwa, er hat Selbstmord begangen?» Heftig schüttelte sie den Kopf. «Graham hätte sich niemals selbst umgebracht. Nein, das war Mord!»
Die Standuhr schlug Viertel vor vier. Fenwick fragte Jenny noch, was sie die letzten Tage gemacht hatte, und schickte sie dann zu Bett. Nachdem sie den Raum verlassen hatte, wandte er sich an Constable Shah.
«Glauben Sie, dass sie die Wahrheit sagt?»
«Ja, Sir. Alles, was sie sagte, klang plausibel.»
«Das denke ich auch. Ich konnte keinerlei versteckte Schuldgefühle ausmachen. Und ihre Trauer und ihr Schock schienen völlig echt zu sein.»
«Entschuldigen Sie, dass ich das sage, Sir, aber Sie haben gar nicht nach Graham Wainwrights Testament gefragt beziehungsweise danach, wer sein Erbe ist.»
«Nein, das wollte ich mir für Jeremy Kemp aufheben. Er ist als Nächster dran. Aber zuerst möchte ich kurz hören, was Cooper herausgefunden hat. Sie warten hier und passen bitte auf, dass niemand zu Bett geht.»
Es war fast vier Uhr morgens, als Fenwick zu Cooper stieß. Cooper hatte zunächst das Küchenpersonal befragt und sich dann gleich zum Tatort begeben. Die Leiche war inzwischen abgeholt worden, und die Obduktion war für «Punkt neun Uhr» morgen früh anberaumt. Mit einem unguten Gefühl führte Cooper seinen Vorgesetzten zu dem Baum, wo man den Toten gefunden hatte. Die Spurensicherung hatte unter den ausladenden Ästen ein weißes Zelt aufgestellt. Grellweißes Licht ergoss sich über Laub, dunkle Erde und knotige Wurzeln. Fenwick warf einen raschen Blick in das Zelt und sah zwei Techniker, die noch mitten in der Arbeit steckten. Er blieb am Eingang stehen und wartete.
«Ich muss gleich wieder rüber und mit den Befragungen weitermachen. Also das Wichtigste in Kürze, Sergeant.»
«Als wir hier ankamen, war alles ein einziges Durcheinander: Man hatte die Leiche bereits vom Baum geholt und vergeblich versucht, die Schlinge um seinen Hals zu lösen. Das ganze Gelände um den Baum ist total zertrampelt. War wohl ein einziges Kommen und Gehen!»
«Wir müssen genau feststellen, wer dafür verantwortlich ist. Lucy und Ryan waren das nicht. Sie haben die Leiche nicht angerührt. Kann man schon sagen, ob es Mord, Selbstmord oder ein Unfall war?»
«Nach Angaben des Polizeiarztes deutet alles darauf hin, dass es sich – ich zitiere – um (versehentliche Strangulation während autoerotischer Stimulation) handelt. Er trug einen Leder-Stringtanga, und auf dem Boden haben wir das hier gefunden.» Cooper reichte Fenwick zwei bereits eingetütete Pornohefte.
«Irgendwelche Einwände?»
«Ein oder zwei. Die Schlinge war sehr professionell geknüpft, und die Art, wie das Seil dort um den Ast geschlungen war und dann hier …», Cooper trat vorsichtig zu einer frei liegenden großen Wurzel, «durchläuft … das ergibt einfach keinen Sinn. Wie hat er es geschafft, von der Position aus, in der er sich befand, den Druck nach und nach zu erhöhen. Sieht für mich eher so aus, als sei noch jemand daran beteiligt gewesen.»
«Sorgen Sie dafür, dass der Tatort hier bewacht wird. Und dann kommen Sie bitte rüber zum Haus.»
Als er die Eingangshalle betrat, empfingen ihn Colin und Jeremy Kemp, die beide sehr verärgert über die Wartezeit waren. Sie verlangten, dass die Zeugenvernehmungen beschleunigt werden sollten, doch Fenwick war entschlossen, alle Befragungen selbst vorzunehmen, und teilte ihnen dies höflich, aber bestimmt mit. Als Nächster war Kemp an der Reihe, und Fenwick erfuhr, dass er und Sally als Zweite bei der Leiche gewesen waren.
«Und Sally war ganz ruhig, als Sie sie verließen, um die anderen zu suchen?»
«Völlig ruhig, Inspector …»
«Chief Inspector.»
«Ja, ganz und gar. Sie ist eine außergewöhnliche Frau, müssen Sie wissen. Sonst hätte ich sie doch nie dort allein gelassen. Sie wirkte so ruhig und bestand förmlich darauf, dass ich gehen sollte.»
«Wirklich?» Fenwick zog die Augenbrauen hoch. Er sah, wie Kemp seine Bemerkung schon bereute, doch der Anwalt war so klug, den Mund zu halten und es nicht noch schlimmer zu machen.
«Also entsprach dieser Zusammenbruch heute Abend, dieser hysterische Anfall gar nicht ihrer Art.»
«Nein, aber Sally hat heute Nacht Schreckliches erlebt, da ist es doch nur allzu verständlich, dass sie irgendwann einmal zusammenbrechen würde. Ich denke, jeder, der einen Toten am Baum hängen sieht, erleidet einen furchtbaren Schock. Sally ist
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