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NachSchlag

NachSchlag

Titel: NachSchlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Ippensen
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Yonathan sprach das offen an. Er war der erste. Eines Tages lud uns meine Mutter zum Abendbrot ein. Irgendwann ging Yonathan ins Bad, und zwar nicht nur, um sich zu erleichtern. Nein, er hatte eine Ahnung und inspizierte die Schränkchen. Und wurde fündig. Als er zurückkam, hatte er einen wissenden Blick. Lächelte meine Mutter freundlich an: ›Darf ich Sie mal etwas fragen?‹ Sie, schon leicht nervös: ›Sicher.‹ ›Weshalb nehmen Sie all diese bunten Pillen, im Volksmund gemeinhin Mother’s little helpers genannt?‹ Er fragte dies mit einer ganz bestimmten Betonung, die MICH förmlich aufrüttelte. Mich, nicht sie. SIE war zwar wie vom Donner gerührt, aber einfach nur – beleidigt. Noch nie hatte sie jemand auf diese Weise zu kritisieren gewagt, es war immer tabu gewesen. Wie einen Schlag ins Gesicht musste sie das empfinden. Sie sprang auf und fauchte: ›Was soll das denn jetzt? Was fällt Ihnen denn ein? Weil sie helfen,
deshalb
!‹ Das letzte Wort war ein Peitschenhieb. Und es war gelogen. Die verdammten Tabletten halfen ihr überhaupt nicht. Meine Mutter, die ich verehrte und anbetete, der ich bedingungslos gehorchte, wie du weißt, sie … trat in hilfloser Panik um sich. Yonathan, obwohl sanft, wusste damit umzugehen. Auf ganz natürliche und ruhige Weise. Ohne mit der Wimper zu zucken hielt er ihren kleinen Ausbruch aus. Ich beobachtete beide. Meine Augen gingen von meinem neuen Freund, den ich bewunderte, hin zu ihr, die ich auf einmal befremdet ansah … Ich war … ›perplex‹ trifft es nur ungenügend … ich begriff auf einmal, wie SÜCHTIG wir waren, meine Mutter und ich. Es war, als sei ich die ganze Zeit blind gewesen und wurde nun sehend. In welcher grauen und grausamen Suchtstruktur wir beide gefangen waren wie in einem klebrigzähen Spinnennetz. Und zwar schon seit Jahren. Es tat weh, nicht mehr blind zu sein. Ja, das Wahrheitslicht schmerzte. Meine Mutter starrte Yonathan nur an … wir wechselten das Thema. Sie – SIE wollte die Wahrheit nicht sehen; sie hätte den Schmerz nicht ausgehalten. Aber ich! Aber bei mir! Bei MIR hatte es ›klick‹ gemacht. Ich hatte auch an diesem Abend einen Joint dabei. Irgendwann ging ich ins Bad und spülte ihn im Klo runter. Ich starrte beim Rausgehen auf die Medizinschränkchen. Aus den Tiefen der Erkenntnis, die schmerzvoll und bitter war, fühlte ich auf einmal eine Art verrückter Freude in mir aufsteigen …«
    Druckreif formuliert
, dachte Armand mit leichtem Sarkasmus, aber er war gleichzeitig beeindruckt von ihrem erzählerischen Feuer.
    Leas Augen verdunkelten sich, langsam, als ob Abenddämmerung ihre Augen allmählich füllte.
    »Auf unserem Nachhauseweg sprachen Yonathan und ich darüber. ›Siehst du, Lea, nun erst kannst du dich lösen. Du bist coabhängig, deine Mutter ist deine Sucht, aber für sie wiederum kommen erst die Pillen und danach kommt lange nichts. Dann irgendwann du, ihr einziges Kind, aber auch nur, so lange du ihre treue widerspruchslose Gehilfin bist. Ihre Komplizin.‹ Er hielt mich bei diesen Worten im Arm, hielt mich fest gepackt. Zärtlich drehte er mir den linken Arm um, fügte mir Schmerz zu … Da er am nächsten Tag einen frühen Termin hatte, kam er nicht mehr mit zu mir. Wir küssten uns zum Abschied, er öffnete mir die Bluse und umfasste meine Titten … und wir sahen uns lächelnd in die Augen. In geheimem Einverständnis. Ich trug dort violette Striemen auf der Haut, durch ihn hatte ich angefangen, die Zeichen auch dort zu lieben … Du erinnerst dich, Herr, dass ich das durch dich nicht ertragen konnte.«
    Armand nickte. »Ich erinnere mich«, sagte er, bemüht um einen neutralen Tonfall, aber die Eifersucht war wieder da.
Was sie wohl noch alles von diesem Kuschelmeister bekommen hat, was sie von mir nicht nehmen wollte …?
Er schob die Empfindung weg und ließ die vor Durst verzerrte Stimme seiner Exfreundin weitererzählen: »›Ab jetzt wirst du ein völlig anderes Leben führen, Lea.‹ Das war es, was Yonathan zu mir sagte, und dann ging er. Es waren seine letzten Worte, es war das letzte Mal, dass wir miteinander sprachen und uns sahen. Er starb am folgenden Tag, am frühen Abend, ganz plötzlich.«
    Lea verstummte. Schwieg. Ihre Augen waren jetzt düstere, glanzlose Türkise, die Stirn umwölkt.
    Armand überlegte, ob er sie ohrfeigen sollte, um sie in die Gegenwart zurückzuholen, oder ob das zu weit ginge, in diesem Moment. Er durchlebte wiederum diese an den Nerven zerrende Ungewissheit,

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