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NachSchlag

NachSchlag

Titel: NachSchlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Ippensen
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die Selbstzweifel, das hasste er wie die Pest, verdammt. Gleichzeitig empfand er Mitgefühl mit Lea, mit ihrem jetzt wieder aufbrandenden Kummer, ihrer Trauer, ihrem Schmerz. Er brummte etwas Unverständliches und überprüfte dann die Fesseln, schaute fürsorglich nach, ob ihre Extremitäten nicht etwa taub geworden waren durch die lange Fesselung. Dankbar schaute Lea zu ihm auf, lächelte fast.
    Seine Augen strahlten sie eine Sekunde lang warm an, beinahe wie früher. Er massierte ihre Hände sogar ein wenig.
    »Wie starb Yonathan?«
    »Eines natürlichen Todes. Er hatte eine kleine Herzschwäche gehabt und da kann es zu plötzlichem Stillstand des Organs kommen. Ist sehr selten, gerade bei
jüngeren
Leuten, aber es
kann
passieren.« Die Art, wie sie das sagte, wie sie manche Worte betonte, ließ ihn kurz stutzen, gleichzeitig drängte ein Informationssplitter, den er gespeichert hatte, ans Licht. Was war es nur, was ihm dazu einfallen wollte? Was ihm geradezu auf der mentalen Zunge lag? Er hatte den Fall sehr gut recherchiert …
    … doch Armand musste feststellen, dass auch ihn das Verhören seiner Ex-Gespielin mehr und mehr aufwühlte und erregte. Schon seit einer Weile war er nicht mehr unbeteiligt genug, doch nun machte es sich immer mehr bemerkbar. Es fiel ihm schwer, sachlich und kühl nachzudenken.
    »Was geschah dann, Lea?«, fragte er sie, sich zur Selbstbeherrschung zwingend.
    Rau sprach sie weiter: »Ich fiel in Depression und Trauer und es blieb mir nur wieder meine Mutter. Erstmal verkroch ich mich, aber eine Woche später wehrte ich mich nicht mehr gegen ihre gutgemeinten Anrufe, ihre Besuchsversuche. Be-suchen, Ver-suchen, Suchen. Sucht kommt von Suchen. Ihre Sucht und meine Sucht nach ihr.« Sie lachte kurz und heiser auf. Es klang überhaupt nicht wie ihr sonstiges, kristallklares Lachen.
    Armand verstand sie. Es war zu bitter. Sie hatte damals versucht sich zu lösen aus der erstickenden Mutterbindung, mit Hilfe ihres neuen Freundes Yonathan, und es war ihr auf tragische Weise misslungen … Und doch, schlussendlich hatte sie es dann ja doch geschafft!
    Etwas war tatsächlich geschehen, hatte sich verändert!
    Armand hatte damals die Waffen gestreckt vor der sklavischen Ergebenheit, mit der die Freundin zur Mutter zurückgekrochen war. Ironie des Schicksals: Er, ihr Herr in so vielen aufregenden erotischen Spielen, war der Dominanz von Leas Mutter letztlich nicht gewachsen gewesen!
    »Meine Mutter«, stieß Lea fiebrig und immer hastiger hervor, »sie kam mit ihrem ganzen Arsenal an bunten Pillen, klar, und sie hatte auch schon genügend genommen, und da sie wusste, ich kiffe, brachte sie mir was mit, aber ich wollte nichts. Ich sah Yonathans Gesicht vor mir, ich hätte mich zu Tode geschämt und nie wieder in den Spiegel sehen können, wenn ich sein Ansehen so geschändet hätte. Sobald ich die Augen schloss, fühlte ich wieder den festen Druck seiner Finger an jenem Abend, als wir uns das letzte Mal sahen. Die lila Striemen auf meinen Brüsten waren leider, leider inzwischen verblasst … Wir redeten nicht viel an diesem Abend, meine Mutter und ich. Wenn, dann war sie es, sie mit ihrer Pillenstimme, verschwommen-metallisch-monoton und – ich weiß nicht, mit ihrer klebrigen krankmachenden erdrückenden Liebe zu mir … auf mich einredete und mir erklärte, sie sei immer für mich da und überhaupt. Sie widerte mich an, aber zugleich hatte ich Mitgefühl mit ihr. Ich war auch lange genug mit ihr zusammen drin gewesen in diesem sinnlosen Kreisel. Hatte mich gedreht und gedreht bis mir schwindlig geworden war vor lauter Lebenslügen und trotzdem hatte ich behauptet, es sei alles in Ordnung und ich würde meine Mutter über alles lieben und andere Menschen gar nicht vermissen und ich bräuchte nur sie und sie bräuchte nur mich, das hatte ich, meistens bekifft, wieder und wieder ›erklärt‹. – Es schien meiner Mutter an dem Abend nicht aufzufallen, dass ich nichts rauchte. Ich beobachtete sie und dachte an Yonathan. Das Leben konnte nicht einfach so weiterlaufen, als wäre nichts geschehen!
Das Universum würde kosmische Gerechtigkeit walten lassen
. In derselben Nacht noch. Ich war mir dessen sicher.«
    »Du willst mir erzählen, dass du in deiner wilden brodelnden Trauer um Yonathan mit deiner Mutter zusammen gesessen und ruhig zugehört hast, was sie dir, von Pillen umnebelt, für einen Schmus erzählte?« Armands Einwurf klang äußerst skeptisch. Doch er runzelte auch aus einem anderen

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