NachSchlag
…«
Weiter kam sie nicht. Irmgard zuckte erst zurück, dann schoss ihr Kopf schlangenhaft auf die Großnichte zu, die Augen, jetzt wieder kalt wie Stahl, sprühten Funken aus Eis.
»Blasphemie …!«, zischte es aus ihrem schmallippigen Mund. »Was unterstehst du dich …! Den Herrn in den Schmutz ziehen und niedrigste abscheuliche Vermutungen anstellen?? Wie kannst du es wagen, du nichtsnutziges, verdorbenes junges Ding!«
Lea schrumpfte auf der Stelle zusammen, erst Jahre später sollte ihr dämmern, dass nackte Angst, Panik, die Furcht entlarvt, entdeckt zu werden, Irmgards Rede diktiert hatte.
Dass sie, Lea, tatsächlich genau die RICHTIGE Frage gestellt.
Dass es um jene eigenartig schillernde Verschmelzung ging, um die Schattenseite der Sinnlichkeit.
Aber damals hatte es schreckliche Folgen: Eine erneute Züchtigung, die diesmal aber bloße reine Bestrafung war, grausam wie die Auspeitschung eines … sie konnte das damals nicht zu Ende denken. Sie flüchtete sich in Bilder des Filmes »Meuterei auf der Bounty«. Und es fand in der Scheune statt, auf einer ausrangierten Kirchenbank, über die sie sich zu legen hatte, da konnte Lea schreien, soviel sie wollte und musste, niemand hörte sie, und diesmal gab es auch kein freundliches Aufwärmen vorher, nein, der Stock sauste erbarmungslos, von straflüsterner Hand der Tante geführt, auf ihren entblößten Hintern und auf die Oberschenkel nieder, dreißig- oder vierzigmal, vielleicht öfter, und sehr dicke geschwollene Striemen blieben zurück, vielfarbige Male, die lange sichtbar waren, die Farben wechselnd und nur allmählich verblassend.
Einige Momente der Übelkeit danach.
Als es endlich vorüber war und Lea sich aufrappelte, musste sie eine Hand auf ihren Magen pressen.
Ja, das war anders gewesen, härter, düsterer, und doch … entsetzt spürte sie, dass nur wenig später selbst DANACH ein schwaches Echo der Wollust durch sie hindurchtönte …
Und als auch noch Tante Irmgard wieder netter zu werden sich anschickte, ganz offenbar befriedigt, wieder mit rosenhaft blühenden Wangen, gesättigt, beschwingt, und Lea über den Kopf strich und einen Satz anfing: »Du hast deine Strafe tapfer ertra…«, da stürzte das Mädchen einfach Hals über Kopf davon, in ihr Zimmer, den Koffer packen.
Sie kam mit ihren eigenen verworrenen Empfindungen und denen ihrer Peinigerin nicht zurecht.
Und sie waren beide nicht reif genug, darüber zu sprechen.
Der Kontakt zwischen Großtante und Nichte brach ab.
Lea weigerte sich, der Mutter irgendetwas zu erklären wegen ihrer vorzeitigen Rückkehr, und sie zog sich wochenlang nur im gut verriegelten Zimmer oder Bad aus.
»Verstockt«, nannte Marit sie, und missmutig: »Das ist die Pubertät.« Als sei das ein Makel, ein Mangel, eine Krankheit.
Sexualität war und blieb ein Tabuthema zwischen Mutter und Tochter.
Das mit Tante Irmgard Erlebte ließ sich nicht so tief verdrängen wie das Erlebnis damals mit Maurice. Lea versuchte es dennoch nach Kräften, fing an zu kiffen und als das nichts nützte, sublimierte sie es und setzte es in ihre grellbunten »Stücke« um, in denen sie sich immer aufs neue verwandelte und das Geschehen in immer anderen Verkleidungen und Verfremdungen durchspielte und bearbeitete, ohne dass ihr jemand gesagt hätte, sie solle das tun, es kam intuitiv aus ihr. Lea war verschlossen und wagte sich niemandem anzuvertrauen.
Vielleicht bin ich monströs
, dachte sie oft.
Und das war noch einer ihrer harmloseren Gedanken.
Schon längst erzählte sie Marit kaum noch etwas von dem, was in ihr vorging, und die Mutter, die nur noch eine halbe Planstelle als Lehrerin innehatte und ernsthaft ihr Studium wieder aufnahm, mit bewundernswertem, zähem Fleiße, fragte auch nicht weiter nach. Sie achtete nur darauf, ihre Tochter sacht dazu anzuhalten, auch einen Beruf zu erlernen, der ein bisschen Geld einbringen würde, und nicht nur auf die brotlose Kunst zu setzen. »So stolz ich auf dich und deine Phantasie bin, Kind«, sagte sie oft. Auf sanfte aber bestimmte Weise versuchte sie, Leas Leben zu lenken, und um der Mama zu gehorchen und lieb zu sein und sie nicht zu stören in ihrem Studium, verhielt Lea sich möglichst brav, ging ordentlich zur Schule, machte das Abitur und gleich anschließend eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, wenn auch nur halbherzig, was Marit nicht merkte.
Rebellische Gedanken unterdrückte die junge Frau, und sie blieb im Zwielicht gefangen, eine graue Knospe in
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