NachSchlag
und zwar, weil sie streng katholisch war. Paradoxerweise gehörte Marit der Kirche schon lange nicht mehr an … wovon Irmgard nichts wissen durfte.
Lea hatte erstmals den Wunsch geäußert, einen Teil der großen Ferien ohne die Mama verbringen zu dürfen, und diesen Kompromiss, zur Tante zu fahren, nahm sie gehorsam an. Lieb und brav wie fast immer. Zudem mochte sie Tante Irmgard eigentlich ganz gern. Dass da vor dem Essen gebetet und jeden Sonntag in die Kirche gegangen wurde, erregte eher ihre Neugier und ihr Interesse, und den Weihrauchduft fand sie faszinierend.
Da bist du gut aufgehoben, sagte Marit.
Gott, wie öde, sagten Schulkameradinnen und verdrehten die Augen. Zu deiner Tante!
Lea hörte auf ihre Mama. Wie immer.
Das einzige, was sie verschwieg und heimlich mitnahm und was sie weiterzuentwickeln gedachte, waren ihre Stoffe und Materialien für ihre neueste Performance … ja, genau so nannte sie das inzwischen … und sie wollte ihre Ruhe dabei haben und daran arbeiten und wusste, bei Tante Irmgard hatte sie ein eigenes Zimmer.
Schon seit längerer Zeit zeigte sie Marit längst nicht mehr alles, was ihrer Phantasie entsprang, denn dumpf ahnte sie, vieles würde der Mutter nicht gefallen. Ihre »Stücke« wurden wilder, bunter, heftiger, schärfer, dramatischer, grausamer, härter, der Humor war oftmals grimmig … und all solche Dinge schätzte Marit durchaus nicht.
Tante Irmgard wohnte auf dem Land; Lea fuhr mit dem Zug hin. In ihrem Hexenhäuschen roch es nach Bohnerwachs und Alter, und noch nach etwas anderem, was das junge Mädchen nicht benennen konnte. Die Tante schien sich über den Besuch ihrer Nichte zu freuen, obwohl man das bei ihrer reserviert-trockenen Art nicht so genau feststellen konnte.
Lea benahm sich mustergültig – brav murmelte sie vor dem Essen die Tischgebete, die Hände gefaltet, den blonden Kopf gesenkt … sie ging mit in die Kirche und verhielt sich auch da tadellos. Im Grunde genommen gefielen ihr die Bibel und viele Teile der Religion recht gut. Das Leben Jesu faszinierte sie … insbesondere zwei Geschichten: die, in der Jesus in edlem Zorn die Wechsler aus dem Tempel jagte und die andere, in der Maria Magdalena die Füße ihres Herrn salbte. Vor allem die zweite Szene löste, wann immer Lea sie vor ihrem geistigen Auge entstehen ließ, ein sanftes nebliges Prickeln in ihr aus.
In ihrem kleinen altmodischen Zimmer aber vergaß sie mehr oder weniger alles, was mit dem Christentum zu tun hatte, denn da tauchte sie tief in ihre Tagtraumwelt ein und probierte Kostüme an und Posen aus, spielte kleine reizvolle Stücke und Szenarien durch, Episoden, die seltsam schillerten und wenn sie sich ausgetobt hatte, pochte es meistens heftig zwischen ihren Beinen, pochte und pochte, bis es lustvoll schmerzte. Das registrierte Lea mit dunklem Entzücken … mehr kümmerte sie sich nicht darum, denn das war … DA UNTEN … war
tabu schmutzig verboten
, eigentlich auch gar nicht vorhanden … nie drangen solche Gedanken an die Oberfläche ihres Denkens, blieben wie kleine scharfgezähnte und doch blass unauffällige Fische DA UNTEN …
Sie empfand sich jedoch immer dann als sehr sehr sehr lebendig und fragte sich gleichzeitig, wie jemand so leben konnte wie Großtante Irmgard. Die ihren Verlobten durch einen Autounfall verloren und seitdem nie wieder einen Mann näher angeschaut, sondern sich statt dessen in ihren immer härter und strenger werdenden Glauben vertieft hatte.
Das Häuschen roch sauer danach … es stank nach Bohnerwachs und Pflicht und nach spießiger starrer Ordnung und nach unterdrückten Neigungen und nach aufgewärmtem Eintopf, der restlos aus den Tellern gekratzt werden musste …
In der Mitte ihrer Ferien und nochmal gegen das Ende hin sollte Lea jedoch etwas mehr über jenen
anderen
Geruch erfahren, den sie nicht hatte deuten können, und zwar auf eine recht eindringliche Art und Weise.
Tante Irmgard kam eines Nachmittags ohne zu klopfen in Leas Zimmer und – ertappte sie.
Halbnackt und in Netzstrümpfen, in Dessous, die kaum zu ihrem noch halb kindlichen Körper passten. Gerade hatte sie den Netzstring wechseln wollen und ihn deshalb ausgezogen.
»Schamlos … sittenlos … unanständig … Sünde … Hure … Nutte!«, zischte die Tante. Die Worte rauschten an Lea vorbei, und seltsamerweise nahm sie sie gleichzeitig hin, leise keuchend aber ohne zu protestieren, sie sah Tante Irmgard an und sah in deren funkelnde Augen, sah ihre rosig aufblühenden
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