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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Meer steigt..., der Antichrist... Er
    wird bald kommen. Das Jahrtausend ist um, wir erwarten ihn...«
    (Alinardus von Grottaferrata in Der Name der Rose, S. 200-202) Der Roman als
    kosmologischer Akt
    Wer erzählen will, muß sich zunächst eine Welt erschaffen,
    eine möglichst reich ausstaffierte bis hin zu den letzten Details.
    Angenommen, ich schaffe mir einen Fluß, zwei Ufer, auf deren
    linkes ich einen Angler setze, ausgestattet mit einem jähzornigen
    Charakter und einem nicht ganz sauberen Strafregister, so könnte
    ich schon zu schreiben beginnen, indem ich in Worte fasse, was
    unvermeidlich geschehen muß. Was tut ein Angler? Er angelt
    (schon habe ich eine Reihe von mehr oder minder unausweich-
    lichen Begriffen, Gesten, Bewegungen). Und was geschieht
    dann? Entweder gibt es in meinem Fluß Fische, die anbeißen,
    oder es gibt keine. Gibt es welche, so wird sie der Angler angeln
    und zufrieden nach Hause gehen. Gibt es keine, so wird er, jäh-
    zornig wie er ist, vielleicht wütend werden und seine Angelrute
    zerbrechen. Nicht eben viel, aber schon ein Ansatz. Nun gibt es
    jedoch ein indianisches Sprichwort, das heißt: »Setz dich ans
    Ufer des Flusses und warte, bald wird deines Feindes Leiche
    vorbeischwimmen.« Was, wenn nun eine Leiche den Fluß
    heruntergeschwommen käme (ist doch
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    die Möglichkeit einer Wasserleiche dem intertextuellen Bezugs-
    feld des Flusses prinzipiell inhärent)? Vergessen wir nicht, daß
    mein Angler ein nicht ganz sauberes Strafregister hat. Wird er
    die Polizei holen und riskieren, daß er Ärger bekommt? Wird er
    davonlaufen? Wird er so tun, als ob er die Leiche nicht sieht?
    Wird er vor Angst vergehen, weil die Leiche am Ende tatsäch-
    lich die seines Feindes ist? Wird er vor lauter Wut platzen, weil
    er die langersehnte Rache nun nicht mehr vollziehen kann? Wie
    man sieht, genügt es, die eigene Welt mit wenigem auszu-
    staffieren, und schon hat man den Ansatz zu einer Geschichte.
    Auch schon den Ansatz zu einem Stil, denn ein Angler, der
    angelt, verlangt von meiner Erzählung einen ruhigen, fließenden
    Rhythmus, skandiert nach dem Muster seiner Erwartung, die
    geduldig sein muß, aber auch nach dem Muster seiner jähen
    Wutausbrüche. Das Problem ist, die Welt zu errichten, die
    Worte kommen dann fast wie von selbst. Rem tene, verba
    sequentur. Das Gegenteil dessen, was, glaube ich, in der Lyrik geschieht: Verba tene, res sequentur.9
    Das ersteJahr der Arbeit an meinem Roman verging mit dem
    Aufbau der Welt; Lange Listen der Bücher, die in einer mittel-
    alterlichen Bibliothek stehen konnten. Namen- und Daten-
    register für viele Personen, viele mehr, als am Ende in die
    Geschichte hineinkamen. Denn ich mußte ja schließlich auch
    wissen, wer die anderen Mönche waren, die nicht im Buch
    auftreten; es war nicht nötig, daß der Leser ihre Bekanntschaft
    machte, aber ich mußte sie kennen. Wer hat ge-
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    sagt, die Epik müsse dem Einwohnermeldeamt Konkurrenz
    machen? Aber vielleicht muß sie auch dem Bauamt Konkurrenz
    machen. Also ausgedehnte architektonische Studien, anhand von
    Bildern, Fotos und Grundrissen in der Enzyklopädie der Archi-
    tektur, um den Plan der Abtei festzulegen, die Entfernungen, ja
    selbst die Anzahl der Stufen einer Wendeltreppe. Marco Ferreri
    hat mir später gesagt, daß meine Dialoge filmgerecht seien, da sie
    die richtige Länge hätten. Kein Wunder: Wenn zwei meiner
    Personen miteinander redeten, während sie vom Refektorium
    zum Kapitelsaal gingen, schrieb ich mit dem Plan der Abtei vor
    Augen, und wenn sie angelangt waren, hörten sie auf zu reden.
    Um frei erfinden zu können, muß man sich Beschränkungen
    auferlegen. In der Lyrik kann die Beschränkung durch das Vers-
    maß gegeben sein, durch den Reim oder auch durch das, was
    Zeitgenossen den Atem nach dem Gehör genannt haben. In der
    Epik wird die Beschränkung durch die zugrundeliegende Welt
    gegeben. Das ist keine Frage des Realismus (obwohl es sogar den Realismus erklärt): Man kann sich auch eine ganz irreale Welt
    errichten, in der die Esel fliegen und die Prinzessinnen durch
    einen Kuß geweckt werden, aber auch diese rein phantastische
    und »bloß mögliche« Welt muß nach Regeln existieren, die
    vorher festgelegt worden sind (zum Beispiel muß man wissen, ob
    es eine Welt ist, in der Prinzessinnen nur durch den Kuß von
    Prinzen geweckt werden können oder auch durch den Kuß einer
    Hexe, und ob der Kuß
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    einer Prinzessin nur Kröten in Prinzen

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