Nachschrift zum Namen der Rose
geäußerte Haß auf die Eile. Der Text ist da und
produziert seine eigenen Sinnverbindungen. Ob ich es beim
Schreiben
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gewollt hatte oder nicht, man steht jetzt vor einer Frage, einer
mehrdeutigen Provokation, und ich selbst habe Schwierig-
keiten, den Gegensatz zu interpretieren, obwohl ich begreife,
daß er einen Sinn enthält (vielleicht viele).
Der Autor müßte das Zeitliche segnen, nachdem er
geschrieben hat. Damit er die Eigenbewegung des Textes nicht
stört.
2 »Was sah ich da, welche symbolische Botschaft
überbrachten mir jene drei kreuzförmig mit- und übereinander
verschränkten Löwenpaare, aufsteigend in Bögen...« (Adson
von Melk in Der Name der Rose, S. 60)
Den Arbeitsprozeß erzählen
Der Autor darf nicht interpretieren. Aber er kann erzählen,
wie und warum er geschrieben hat. Die sogenannten poeto-
logischen Schriften oder Poetiken dienen nicht immer zum
besseren Verständnis des Werkes, von dem sie angeregt worden
sind, aber sie dienen zur Einsicht in die Verfahrensweise bei der
Lösung des technischen Arbeitsproblems, das die Hervor-
bringung (Produktion) eines Werkes immer auch ist.
Edgar Allan Poe erzählt in seinem. Essay Die Methode der
Komposition, wie er sein Gedicht Der Rabe geschrieben hat. Er sagt uns nicht, wie wir es lesen sollen, sondern welche Probleme
er sich gestellt hat, um eine »poetische Wirkung« zu erzielen.
Und definieren würde ich die poetische Wirkung als die
Fähigkeit eines Textes, immer neue und andere Lesarten zu
erzeugen, ohne sich jemals ganz zu verbrauchen.
Wer schreibt (oder malt oder bildhauert oder komponiert),
weiß stets, was er tut und was es ihn kostet. Er weiß, daß er ein
Problem lösen muß. Die Ausgangsdaten mögen obskur sein,
triebhafte, obsessive Motive, kaum mehr als ein Gelüst oder eine
Erinnerung. Dann aber muß er das Problem am Arbeitstisch
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lösen, in Auseinandersetzung mit dem Stoff, den er bearbeitet,
das heißt mit einer Materie, die eigene Naturgesetze aufweist,
aber zugleich die Last der bereits in sie eingegangenen Kultur
(das Echo der Intertextualität) mitschleppt.
Wenn ein Autor behauptet, er habe im Rausch der Inspiration
geschrieben, lügt er. Genie ist zehn Prozent Inspiration und
neunzig Prozent Transpiration.
Lamartine schrieb einmal, ich weiß nicht mehr, über welches
seiner Gedichte, es sei ihm spontan eingefallen, urplötzlich in
einer stürmischen Nacht im Walde. Als er gestorben war, fand
man seine Manuskripte mit zahlreichen Korrekturen und
Varianten, und besagtes Gedicht erwies sich als das vielleicht
am meisten »bearbeitete« der gesamten französischen Literatur.
Wenn ein Schriftsteller (oder Künstler im allgemeinen) sagt,
er habe gearbeitet, ohne an die Verfahrensregeln zu denken,
meint er damit nur, daß er gearbeitet hat, ohne zu wissen, daß er
die Regeln kannte. Ein Kind weiß seine Muttersprache gut zu
gebrauchen, aber es könnte nicht ihre Grammatik schreiben.
Dennoch ist der Grammatiker nicht der einzige, der die Regeln
der Sprache kennt, denn unbewußt kennt sie auch das Kind. Der
Grammatiker ist nur der einzige, der weiß, wie und warum das
Kind mit der Sprache umgehen kann.
Erzählen, wie man geschrieben hat, heißt nicht behaupten, man
habe »gut« geschrieben. »Eines ist die Wirkung des Werkes«,
sagte Poe, »ein anderes die Erkenntnis des Verfahrens.« Wenn
Kandinsky oder Klee
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uns erzählen, wie sie malen, so sagen sie uns damit nicht, ob
einer der beiden besser ist als der andere. Wenn Michelangelo
sagt, skulpieren heiße, die dem Stein bereits »einbeschriebene«
Figur von ihrem »Überschuß« zu befreien, so sagt er damit nicht,
ob die vatikanische Pietä besser ist als die Pietä Rondanini.
Manche der klarsten Seiten über künstlerische Prozesse stammen
gerade von kleineren Künstlern, die nur bescheidene Werke
hervorgebracht haben, aber sehr gut über ihre Verfahrensweisen
zu reflektieren vermochten: Vasari, Horatio Greenough, Aaron
Copland...
3 »Über dem Haupt des Erlösers, angeordnet in einem Bogen,
der sich in zwölf Paneele teilte, sowie unter seinen Füßen in
einer ununterbrochenen Prozession von Figuren, waren die
Völker der Welt dargestellt, denen die Frohe Botschaft gebracht
werden sollte, und ich erkannte an ihren Kostümen die Juden,
die Kappadozier, die Araber und die Inder, die Phrygier, die
Byzantiner...« (Adson von Melk in Der Name der Rose, S. 430) Natürlich, das Mittelalter
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