Nachschrift zum Namen der Rose
je eine Bibliothek im Freien
gesehen?), und wenn es zu kompliziert wurde,
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mit zu vielen Gängen und Innenräumen, hätte es Schwierig-
keiten mit der Belüftung gegeben. Eine gute Belüftung war aber
nötig, um den Brand zu entfachen (und dieser Punkt, daß mein
Aedificium am Ende in Flammen aufgehen mußte, war mir von
Anfang an klar gewesen, aber auch diesmal aus kosmologisch-
historischen Gründen, denn im Mittelalter brannten Kathedralen
und Klöster wie Zunder ab, und eine mittelalterliche Geschichte
ohne Feuersbrunst wäre geradezu wie ein Kriegsfilm aus dem
Pazifik ohne brennend vom Himmel stürzende Flugzeuge). So
bastelte ich denn zwei bis drei Monate lang an der Konstruktion
eines passenden Labyrinths, und am Ende mußte ich es mit
Mauerschlitzen versehen, sonst wäre noch immer zu wenig
Luftzug gewesen.
Wer spricht?
Ich hatte viele Probleme. Ich wollte einen geschlossenen Ort,
ein allseits abgedichtetes Universum, und zur besseren Abdich-
tung war es ratsam, außer der Einheit des Ortes auch die Einheit
der Zeit einzuführen (wenn schon die Einheit der Handlung
zweifelhaft war). Also eine Benediktinerabtei mit ihrem gere-
gelten Tagesablauf im Rhythmus der kanonischen Stunden
(vielleicht war der Ulysses das unbewußte Vorbild für den
starren Aufbau nach Tageszeiten; aber es war auch der Zauber-
berg für den hochgelegenen und fast klinisch weltabge-
schiedenen Ort, an dem so viele lange Gespräche stattfinden
sollten).
Die Gespräche stellten mir allerhand Probleme, aber die löste
ich erst beim Schreiben. Zum Beispiel die heikle und in den
Theorien über die Kunst des Erzählens wenig behandelte Frage
der turn ancillaries, das heißt der Mittel, durch welche der Autor seinen Personen das Wort erteilt. Achten wir auf die
Unterschiede zwischen folgenden fünf Dialogen:
1 »Wie geht es dir?«
»Nicht schlecht, und dir?«
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2 »Wie geht es dir?« sagte Hans.
»Nicht schlecht, und dir?« sagte Peter.
3 »Wie«, sagte Hans, »geht es dir?«
Darauf Peter sogleich: »Nicht schlecht, und dir?«
4 »Wie geht es dir?« fragte Hans besorgt.
»Nicht schlecht, und dir?« gab Peter strahlend zurück.
5 Da fragte Hans: »Wie geht es dir?«
»Nicht schlecht«, erwiderte Peter mit tonloser Stimme,
und fügte mit undefinierbarem Lächeln hinzu: »Und dir?«
Außer in den zwei ersten Fällen haben wir unverkennbar die
sogenannte »Enunziationsinstanz«: Der Autor interveniert mit
einem persönlichen Kommentar, um dem Leser zu suggerieren,
welchen Sinn die Worte der beiden annehmen können. Aber
fehlt diese Absicht wirklich in den scheinbar neutralen
Lösungen der beiden ersten Fälle? Und ist der Leser freier in
den beiden neutralen Fällen, wo ihm eine Gefühlslage unterge-
schoben werden kann, ohne daß er es merkt (man denke nur an
die Schein-Neutralität der Dialoge bei Hemingway), oder ist er
freier in den drei anderen Fällen, wo er zumindest weiß, welches
Spiel der Autor da mit ihm treibt?
Eine Stilfrage, eine Gewissensfrage, eine Frage der ideolo-
gischen Haltung und eine Frage der »Poesie«, nicht weniger als
die Wahl eines Binnenreims oder
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einer Assonanz oder auch die Einführung eines Paragramms. In
jedem Falle muß man versuchen, eine gewisse Kohärenz zu
erreichen. Vielleicht kam mir in meinem Falle der Umstand zu
Hilfe, daß alle Dialoge von Adson wiedergegeben werden, der
ja nun wirklich unverkennbar die ganze Geschichte aus seiner
Sicht erzählt.
Die Dialoge stellten mir noch ein anderes Problem:
Inwieweit konnten sie »mittelalterlich« sein? Mit anderen
Worten, ich merkte beim Schreiben, daß mein Buch die
Struktur einer Opera buffa annahm, eines tragikomischen
Melodrams mit langen Rezitativen und großen Arien. Die
Arien (zum Beispiel die Beschreibung des Kirchenportals)
imitierten die große Rhetorik des Mittelalters, und da fehlte es
nicht an Modellen. Aber die Dialoge? An einem bestimmten
Punkt begann ich zu fürchten, daß meine Dialoge sozusagen
Agatha Christie würden, während die Arien Suger oder Sankt
Bernhard waren. Ich machte mich also erneut daran, die
mittelalterlichen Romane zu lesen, will sagen die höfischen
Ritterepen, und entdeckte schließlich, daß ich — mit ein paar
Freiheiten meinerseits — im großen und ganzen doch einen
dem Mittelalter nicht unbekannten erzählerischen und poeti-
schen Usus wahrte. Aber das Problem hat mir lange zu
schaffen gemacht, und ich bin mir nicht sicher, ob ich
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